piwik no script img

Solare Zukunft für den Kohlenpott

Standorte für die Solarzellenproduktion in NRW und Bayern. RWE entdeckt die Photovoltaik wieder. Vor zwei Jahren hatte der Konzern die Produktion verlagert  ■ Aus Bonn Walter Jakobs

Mitten im Kohlenpott wird demnächst Deutschlands größte Solarfabrik entstehen. In einem gemeinsamen Tochterunternehmen wollen die Deutsche Shell AG und die Pilkington Solar International GmbH, die in Gelsenkirchen schon photovoltaische Fassadenelemente produziert, polykristalline Zellen im Umfang von 25 Megawatt jährlich produzieren. Die bisherige Gesamtkapazität in Deutschland lag unter einem Megawatt.

Für Gelsenkirchen, eine der vom sterbenden Steinkohlebergbau besonders gebeutelten Stadt, bringt das Projekt nach den Worten von Düsseldorfs Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) im ersten Schritt etwa 300 neue Arbeitsplätze. Rund 400 weitere Jobs werden Clement zufolge in solaren Vertriebs-, Montage- und Wartungsbereichen außerhalb der eigentlichen Fabrikation entstehen. Insgesamt würden etwa 100 Millionen Mark investiert. 10 Millionen steuert das Land zu, weitere 10 Millionen der Bund.

Parallel zu dem Projekt in Gelsenkirchen will das RWE-Tochterunternehmen Angewandte Solarenergie-ASE GmbH eine Solarzellenproduktion im bayrischen Alzenau aufbauen. Beide Projekte wurden gestern in Bonn von den Landeswirtschaftsministern und Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers zusammen mit den Unternehmensvertretern vorgestellt. In Alzenau betreibt die RWE- Tochter eine kleine Pilotanlage für Spezialsolarzellen. Jetzt soll hier in einem ersten Schritt die Fertigung für Standardsolarzellen mit einer Gesamtproduktion von 13 Megawatt jährlich entstehen. 50 neue Arbeitsplätze sollen entstehen.

Mit dieser Entscheidung markiert die RWE-Tochter eine Wende. Noch vor knapp zwei Jahren hatte das Unternehmen seinen Produktionsstandort in Wedel bei Hamburg aufgegeben und war mit der Solarzellenproduktion nach Amerika ausgewandert. Deutschland sei, so begründete der Essener RWE-Konzern seinerzeit den Todesstoß für die Wedeler Fertigung, „einfach noch nicht anwendungsreif“, ein aussichtsreicher Markt nicht vorhanden.

Gestern ließ RWE-Vorstandsmitglied Thomas Geitner dagegen ganz andere Töne anklingen. Die „umweltfreundliche Stromerzeugung“ aus Photovoltaikanlagen erfreue „sich auch in Deutschland einer steigenden Nachfrage. Erst recht, seitdem sie durch kommunale Initiativen oder durch Umwelttarife der großen Stromversorger gefördert wird“, sagte Geitner. Daß diese „kommunalen Initiativen“ sich nur gegen den erbitterten Widerstand von RWE und anderen Stromkonzernen durchsetzen konnten, überging der RWE-Manager elegant. Vor allem die Solarpioniere aus Aachen, deren kostendeckendes Vergütungsmodell inzwischen in zahlreichen Kommunen Nachahmer gefunden hat, wissen von der RWE-Blockadepolitik ein Lied zu singen. Erst als die Aachener drohten, den Konzessionsvertrag mit RWE nicht zu verlängern, lenkte der Stromgigant aus Essen seinerzeit ein.

Forschungsminister Rüttgers feierte die Vereinbarungen zur Solarzellenfertigung gestern als „Durchbruch zur Großserienproduktion in Deutschland“. Bisher gefiel sich Rüttgers eher in der Rolle des Solarmuffels. So galt ihm das 100.000-Dächer-Programm, das die Bonner SPD-Fraktion im Bundestag gefordert hatte, als „eine Kriegserklärung an die Vernunft“. Das Gerede vom Solarzeitalter sei nichts als „Budenzauber“ und schlicht „Wahnsinn“. Entsprechend mager fiel die Bonner Förderung bisher aus. Tatsächlich lösten vor allem die rot-grün regierten Bundesländer den Nachfrageboom aus. 40 Prozent der gesamtdeutschen Förderung für Photovoltaikanlagen kamen im letzten Jahr allein aus NRW.

Immerhin gesteht Rüttgers inzwischen ein, daß „die kräftige Nachfrage nach Photovoltaikanlagen jetzt auch in Deutschland die Investition in die Solarzellenproduktion sinnvoll macht“. Auch der Weltmarkt wächst stürmisch: allein in diesem Jahr um etwa 30 Prozent auf 120 Megawatt verkaufte Modulleistung. Langfristig erwartet Rüttgers im Verein mit der Industrie Wachstumsraten von etwa 15 Prozent jährlich. Die Shell AG, die in Gelsenkirchen dabei ist und auch in Japan an einem solaren Joint-venture-Unternehmen beteiligt ist, schätzt das weltweite Umsatzvolumen für Solarenergie auf rund 1,7 Milliarden Mark.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen