Mittelstand bleibt doch nur Mittelmaß

■ Mittlere Unternehmen sollen Deutschland aus der Krise helfen, doch sie schaffen kaum neue Arbeitsplätze. Nur Dienstleistungen wachsen

Berlin (taz) – In Zeiten der Krise erinnert man sich gern an Bewährtes. Der Standort Deutschland mit offiziell 4,3 Millionen Arbeitslosen ist in der Krise. Da sich in Nachkriegsdeutschland der Mittelstand als Garant für Wohlstand, Wachstum und Arbeitsplätze bewährt hat, haben sich Politiker, Finanz- und Wirtschaftsunternehmen seit einigen Monaten wieder auf ihn besonnen. Um Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in Deutschland zu sichern, forderte erst gestern Helmut Kohl erneut, „mehr Pioniergeist und innovatives Unternehmertum“.

Die Deutsche Bank hatte den Bundeskanzler auf ihren „Mittelstandskongreß“ eingeladen. Über 2.000 Unternehmer hatte Deutschlands größtes Kreditinstitut dort zusammengebracht, damit die sich über Dinge wie Umweltmanagement, Kundenzufriedenheit oder den Gang an die Börse informieren können. Denn auch die Deutsche Bank macht sich Sorgen um den Mittelstand. Immerhin treibt sie Dreiviertel ihrer Geschäfte mit kleineren und mittleren Unternehmern, die 95 Prozent der Firmenkunden bei der Bank stellen. Doch vom Mittelstand droht nicht viel mehr als der Mythos übrigzubleiben. Im Durchschnitt gehen jeden Monat 2.200 kleine und mittlere Unternehmen pleite. In den kommenden fünf Jahren wird allein in 300.000 familiengeführten Unternehmen die Gründergeneration abtreten. Deren Nachfolge ist weitgehend ungeklärt. Schätzungsweise vier Millionen Arbeitsplätze drohen verlorenzugehen, wenn sich für die Betriebe keine neuen Chefs finden lassen.

Wird der Mittelstand in den traditionellen Sparten auch umworben und beschworen, so hat er als Arbeitsplatzbeschaffer in genau diesen Sparten seit Jahren ausgedient. Es bleibt zwar wahr, daß die verarbeitende Großindustrie in den vergangenen Jahren knapp 944.000 Menschen entlassen hat. Aber die halbe Million kleine und mittlere Unternehmen haben ebenfalls 483.000 Menschen auf die Straße geschickt. Egal ob auf dem Bau, in der Maschinenfabrik oder in der Spinnerei – die traditionellen Geschäftsfelder des Mittelstands sind nicht mehr wettbewerbsfähig.

Die einzige Branche, die in den vergangenen 15 Jahren stetig gewachsen ist, stellt „Sonstiges“ her. In die offiziellen Statistiken können die tatsächlich gedeihenden Branchen wie Dienstleistung, Software-Entwicklung oder Nachrichtenübertragung nicht aufgenommen werden. Denn es gibt sie offiziell nicht.

„Dabei spielt da die Musike“, sagt Strukturforscher Klaus Löbbe vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Seit zwei Jahren erforscht Löbbe die Innovationskraft und die Arbeitsplatzeffekte des Mittelstands für das Bundeswirtschaftsministerium. „Dienstleistungen expandieren über alle Branchen“, so Löbbes Fazit.

Nicht nur das: Dienstleistungen weiten sich auch in allen Betriebsgrößen aus. Rund 13 Millionen Menschen liefern Unternehmen oder Privatleuten einen Dienst. Das sind 3,1 Millionen Arbeitende mehr als noch 1980. Dabei schätzt Löbbe, daß die Industrie letztendlich die meisten Arbeitsplätze schafft: Indem sie Dienstleistungen in mittelständische Unternehmen auslagert. Ulrike Fokken