Der rot-grüne Deal in Hamburg ist perfekt. Der GAL-Politiker Willfried Maier muß auf den Posten des Finanzsenators verzichten. Er muß sich jetzt mit dem Ressort für Stadtentwicklung begnügen. Auch für die Hamburger SPD beginnt eine neue Ära Aus Hamburg Silke Mertins

Bewährungsprobe für die SPD

Die Sozialdemokraten konnten es nicht fassen. Sie brüllten, tobten und zeterten. Der Regierungspartner in spe, die Grün-Alternative Liste (GAL) sei „charakterlos“ und „regierungsunfähig“. Man verstieg sich gar zu der Behauptung, hier würde der Mehrheitswille vergewaltigt. In der ersten Bürgerschaftssitzung nach der Wahl hatten die seit 40 Jahren regierenden Sozis glatt vergessen, daß sie die Mehrheit der Wählerstimmen gar nicht mehr haben. Der Grund der Aufregung: Die GAL hatte es in dem „Zeitfenster“ zwischen zwei Regierungsbündnissen gewagt, zusammen mit der CDU ein Gesetz zu verabschieden, das für mehr kommunale Demokratie sorgen soll. Der schwarz- grüne Coup sei „nicht verhandelbar“, erklärte GAL-Verhandlungsführerin Krista Sager keck.

Beim designierten Ersten Bürgermeister Ortwin Runde kam die Machtdemonstration nicht gut an. „The king was not amused“, wußte Sager aus den bereits begonnenden rot-grünen Gesprächen zu berichten. Angesichts der SPD-typischen Verwechselung von Gemeinwohl und SPD-Willen feixte der CDU-Abgeordnete Roland Salchow in Richtung GAL: „Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dieser SPD.“ Doch die Roten und die Grünen hatten im großen und ganzen offenbar wirklich Spaß miteinander. Im Anschluß an jede der 13 Verhandlungsrunden präsentierten sich die Parteispitzen bester Laune. Nachdem SPD und GAL vorgestern kurz vor Mitternacht auch offiziell das rot-grüne Bündnis besiegelten, trauerte Runde sogar schon dem gemütlichen Kreis aus je zwölf Delegierten pro Partei nach. Er versprach eine schnelle Regierungskrise, damit man bald wieder in der nun auseinandergerissenen Gruppe zusammenkommen könnte. Am meisten kicherte er dann selbst über den Scherz.

Der 53jährige Ostfriese hatte auch ansonsten gut lachen. Die SPD mußte wenig Federn lassen. Die Kröten hatten die Grünen runterzuwürgen: alle großen Ökosünden von der Hafenerweiterung bis zur Elbvertiefung wurden durchgewunken. Im Gegenzug konnten die Grünen viel Kleinkram und ein paar wenige Zuckerstücke wie den geplanten Ausstieg aus dem AKW-Schrottmeiler Brünsbüttel und die „Hamburger Ehe“ für Schwule und Lesben auf der Habenseite verbuchen. „Wir können uns mit dem Ergebnis sehen lassen“, beharrt Sager dennoch, „auch im Bundesvergleich.“ Nur ganz zum Schluß hatte es noch einmal erhebliche Differenzen gegeben: Die Ressortverteilung stand auf der Tagesordnung.

Ein ums andere Mal raste der drahtige Marathonläufer und GAL-Unterhändler Willfried Maier, der schon lange als erster grüner Finanzsenator gehandelt wurde, in die Fraktionsräume, um noch die eine oder andere Unterlage zu holen. Die Stirn des allseits geschätzten ehemaligen Funktionärs des Kommunistischen Bunds Westdeutschland (KBW) hatte sich zu einer einzigen großen Sorgenfalte zusammengezogen. Die SPD wollte das Finanzressort einfach nicht rausrücken. Statt dessen wünschte Runde, die GAL möge eine Behörde aus „dem repressiven Bereich“, nämlich die Schleudersitze Justiz oder Inneres, übernehmen. Er wußte sehr wohl, daß die GAL dafür kein geeignetes Personal vorzuweisen hat. Die Finanzen hingegen wären auf den grünen Haushaltsexperten Maier zugeschnitten gewesen.

Die Hamburger Grünen träumten schon von einem zweiten Tom Koenigs, der als Stadtkämmerer in Frankurt das finanzpolitische Profil der Grünen schärfte. Doch Runde beschied der GAL, sie sei noch nicht so weit, ein Schlüsselressort zu übernehmen. Reala Sager wird Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin. Das Umweltressort wird wohl mit dem Parteilinken Alexander Porschke besetzt. Und Maier soll nun Stadtentwicklungssenator werden. Alles in allem leichtgewichtige Ressorts. Tatsächlich ist die machtverwöhnte SPD noch nicht reif genug, einen konsequenten rot-grünen Kurs einzuschlagen.

Bei all den Veränderungen hat man nun Angst vor der eigenen Courage. Zu lange verharrten die hanseatischen Sozis in der politischen Bewegungslosigkeit und ließen „den da oben“, Hamburgs langjährigen „ungekrönten König“ Henning Voscherau, nach Belieben schalten und walten. Lediglich Verteidigungsposten sorgten gelegentlich für Unfrieden, wenn es mal wieder galt, Voscheraus verbalradikalen Sprüchen (z.B. der Rechtsstaat sei „zu lau, zu lasch, zu langsam“) Einhalt zu gebieten. Frenetischer und nicht enden wollender Applaus ließ das Bürgerhaus Wilhelmsburg nach der Wahl im September erzittern, als man den wegen des schlechten Wahlergebnisses zurückgetretenen Voscherau verabschiedete. Unangenehm berührt ließ Voscherau den Beifall abbrechen. Er schien bereits zu spüren, daß die Delegierten sich in eine Euphorie hineinklatschten, die gewöhnlich einen Wechsel ankündigt.

Tatsächlich ist verblüffend, wie schnell die SPD über den langen Schatten von Henning Voscherau gesprungen ist. Kaum einer, der noch über ihn redet, nur wenige, die ihm nachtrauern. Vermutete man hinter Voscherau stets den gesamten rechten Parteiflügel, stellt sich nun heraus, daß seine Truppen gerne auch unter einem anderen Machtstrategen dienen, solange die SPD nur am Ruder bleibt. Erste zarte Versuche, aus der Hamburger SPD eine moderne Großstadtpartei zu machen, werden im engsten Kreis besprochen. Sollten die SPD-Abgeordneten nicht zum Beispiel rethorisch geschult werden und überhaupt mal fortgebildet werden? fragt man sich sogar. Müßten die Genossen nicht ganz anders am gesellschaftlichen Gestaltungsprozeß beteiligt sein?

„Innovativ“, „kreativ“ und „zukunftsorientert“ gehören zu Rundes Lieblingsvokabular. Das ist so radikal nicht, klingt aber ungemein fortschrittlich. Und in diesem Image gefällt sich der hemdsärmelige Runde, der sich gern „Systemklempner“ nennt, am besten.