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Der Besuch der neuen Dame

Einen Wahlkreis hat sie nun, aber auch drei Gegenkandidaten: Vera Lengsfeld (CDU) muß in Thüringen über die Dörfer tingeln, um wieder in den Bundestag zu kommen  ■ Von Jens König

Vera Lengsfeld sieht nicht glücklich aus. Sie sitzt im Stadthaus von Apolda und muß sich erklären lassen, warum der Ort unbedingt das Autobahnschild haben wollte, das die Ausfahrt Bad Sulza anzeigt. Nichts deutet darauf hin, daß sie je davon gehört hat. Wahrscheinlich muß sie gleich auch noch etwas dazu sagen. Dabei hat sie sich am Morgen in der CDU-Zentrale in Erfurt informieren lassen über die Probleme vor Ort. Und jetzt das. Bad Sulza! Wenn sie doch bloß einer zum Stasi-Unterlagengesetz fragen würde.

Aber es fragt niemand. Nicht in dem 30.000-Seelen-Ort Apolda, der zwanzig Kilometer von Weimar entfernt liegt. Und nicht an diesem Abend im Stadthaus, wo sich 100 Mitglieder der CDU versammelt haben, um die Kandidatin für ihren Bundestagswahlkreis zu befragen.

Vera Lengsfeld hat ein Problem: Sie ist nicht von hier. Sie ist zu Besuch. Zu Besuch in ihrer eigenen Partei. Das blaue Kostüm, das die 45jährige trägt, paßt nicht hierher, nicht in diesen tristen Versammlungsraum. Es will zuviel.

Lengsfeld muß die ganze Zeit so tun, als sei es das Normalste von der Welt, in der eigenen Partei nur zu Besuch zu sein. Sie will schließlich in diesem Wahlkreis das Direktmandat für den Bundestag gewinnen, da kann man nicht kleinlich sein. Also sagt sie Sätze, die den Apoldaer CDU-Mitgliedern zeigen sollen, daß sie bald eine von ihnen ist. „Ich habe mir die Wirtschaftsdaten der Region geben lassen“, sagt sie, „und ich habe mir das Kulturkonzept angeschaut. Da gibt es viele Aspekte, bei denen ich mich einklinken kann.“ Während die Apoldaer noch angestrengt darüber nachdenken, was sich hinter diesem programmatischen Entwurf im einzelnen verbergen könnte, überlegt Lengsfeld schon die nächste vertrauensbildende Maßnahme. Natürlich würde sie auch in den Wahlkreis ziehen und hier wohnen...

Irgendwie kriege ich euch schon, muß Vera Lengsfeld in dem Moment gedacht haben. Vielleicht ist ihr aber auch die Frage durch den Kopf gegangen, die näher liegt: Was mache ich hier eigentlich?

Lengsfeld hatte sich das ganz anders vorgestellt. Mit Pauken und Trompeten wollte sie durchs Land ziehen und vor den Kommunisten warnen. War ihr diese Rolle nicht auf den Leib geschrieben – in der DDR Berufsverbot, von der SED verhaftet, von der Stasi bespitzelt, und das auch noch von einem IM, der ihr Mann und Vater ihrer Kinder war? Hatte Peter Hintze, der CDU-Generalsekretär, sie nicht deswegen in seine Partei gelockt? Muß ihr die CDU nicht dankbar sein, besonders im Osten, weil sie, die Bürgerrechtlerin, sie vom Makel ihrer Blockflöten-Vergangenheit befreite? Und jetzt?

Jetzt muß sie über die Dörfer in der thüringischen Provinz tingeln: „Ich heiße Vera Lengsfeld“, stellt sie sich brav vor, „und bin alleinstehende Mutter von drei Kindern. In der DDR war ich aktiv in der Opposition tätig. Wie sich einige von ihnen vielleicht erinnern, bin ich 1988 verhaftet worden.“ Einige erinnern sich vielleicht noch an die Verhaftung von Vera Wollenberger. Vielleicht aber auch nicht.

Die Bürgerrechtlerin hat in Apolda keine Pauken und keine Trompeten dabei. Das einzige, was sie mitbringt, ist das Gerücht, ihr, der Prominenten, soll auf Druck der Parteiführung ein Wahlkreis geschenkt werden, damit sie wieder in den Bundestag kommt. Dankbar ist ihr dafür in der CDU niemand, im Gegenteil. Wir wollen hier keine Promis, heißt es in Apolda, denen ein Posten zugeschoben wird. Und so machen der Überläuferin drei Männer den Platz streitig; sie wollen im selben Bundestagswahlkreis ins Rennen gehen. Vera Lengsfeld – nein, man trägt sie nicht auf Händen – muß nun in der eigenen Partei gegen die eigenen Leute antreten.

Der Kampf gegen die Kommunisten muß folglich etwas warten. Jetzt geht es erstmal um Apolda – und das Schild für Bad Sulza.

Vera Lengsfeld (CDU) gegen Heinz-Jürgen Kronberg (CDU), Kronberg (CDU) gegen Mike Mohring (CDU) und Mohring (CDU) gegen Hermann Kurz (CDU). Andreas Trübner versucht, dieser ungewöhnlichen Konstellation im Wahlkreis 301 eine positive Seite abzugewinnen. Als CDU-Kreisvorsitzender von Weimarer Land fühlt er sich dazu verpflichtet: „Ich bin stolz darauf“, sagt er, „einer Partei anzugehören, die vier so gute Kandidaten hat.“

Obwohl jeder in der Thüringer CDU weiß, daß das glatt gelogen ist, sind die meisten dankbar für diesen Spruch. Denn offen sagen möchte keiner, worüber sie hinter vorgehaltener Hand alle tuscheln: Daß hier irgendwer im Hintergrund die Fäden zieht. Die Thüringer CDU-Spitze hat händeringend einen Wahlkreis für die prominente Überläuferin gesucht, aber keinen gefunden. „Wir sind daran interessiert“, gibt Parteisprecher Franz-Josef Schlichting zu, „daß Vera Lengsfeld ein Mandat erringt.“ Ein Scheitern der Bürgerrechtlerin, das wissen die Thüringer, wäre eine Blamage für die ganze CDU.

Der entsprechende Parteiauftrag, so erzählt man sich, sei an den Ministerpräsidenten Bernhard Vogel persönlich ergangen, und zwar direkt aus dem Kanzleramt. Vogel wiederum soll Lengsfeld einen Platz im Bundestag versprochen haben. Von den zwölf Thüringer Bundestagsabgeordneten, die alle direkt gewählt worden sind, räumte aber keiner freiwillig das Feld. Die Leute an der Basis sind auf die Bürgerrechtlerin nicht gut zu sprechen. Sie haben nicht vergessen, wie sie von ihr als Blockflöten beschimpft worden sind. In ihrem Heimat-Kreisverband in Sondershausen bekam Lengsfeld dafür bereits einen Denkzettel. Bei der Wahl der Delegierten für den Landesparteitag Mitte September fiel sie durch.

Die Thüringer Parteispitze mußte ein Machtwort sprechen: Lengsfeld tritt im Wahlkreis 301 an, entschied sie, in Weimar, Apolda und Sömmerda. Heinz- Jürgen Kronberg, für diesen Wahlkreis seit sieben Jahren im Bundestag, schien das schwächste Glied in der Kette. Bei der Basis unbeliebt, weil er sich zuwenig um seinen Wahlkreis kümmert, bei der CDU- Spitze durchgefallen, seit er versucht hatte, Thüringens Wissenschaftsminister Gerd Schuchardt von der SPD am Telefon zum Übertritt zur CDU zu bewegen. Also sollte Kronberg weggelobt werden. Ministerpräsident Bernhard Vogel bot ihm in Absprache mit Helmut Kohl an, Bundesbeauftragter für Zivildienst in Bonn zu werden. Zur Überraschung aller lehnte Kronberg jedoch ab. „Ich stelle mich jedem Gegenkandidaten“, verkündete er trotzig. Für Vera Lengsfeld gab es keinen Weg mehr zurück.

Wenn sie das schon hört: Machtwort von der Parteispitze. Vera Lengsfeld ist sauer. „Ich habe bei meinem Übertritt weder Versprechen eingefordert noch irgendwelche erhalten“, sagt sie. „Das hätte ich mir verbeten.“ Mit jedem Satz wirkt sie gereizter: „Ich bin aufgefordert worden zu kandidieren.“ Sie merkt, daß sie etwas Entscheidendes vergessen hat: „Von der Parteibasis.“ Und als habe sie das Gefühl, daß man ihr immer noch nicht glaubt: „Die Junge Union in Weimar hat mich am 3. Juni aufgefordert, und am 3. Oktober waren es maßgebliche Leute in Apolda.“

Einige Mitglieder des CDU- Ortsvorstands Apolda können da nur lachen. „Wir wüßten zu gern, wer diese Leute sind“, sagen sie, „in Apolda jedenfalls hat sie niemand aufgefordert.“ Vera Lengsfeld ficht das nicht an. „Sie wollen doch hier nur eine Schlammschlacht sehen“, sagt sie einem Journalisten, „aber die werden Sie nicht bekommen.“

Sie hat recht.

In Weimar, auf einer Veranstaltung der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmer (CDA), sitzen die vier Kandidaten, auf die die Partei so stolz ist, einträchtig nebeneinander: Mike Mohring, Chef der Jungen Union in Apolda, mit 25 Jahren der Jüngste und mit Außenseiterchancen im Kandidatenrennen; Heinz-Jürgen Kronberg, der Verteidiger des Wahlkreises und wirkliche Konkurrent für die ehemalige Grüne; Vera Lengsfeld; und Hermann Kurz, der frühere ehemalige Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion, dessen Kandidatur keiner richtig ernst nimmt. Nur einer kann gewinnen, stellen alle vier geistesgegenwärtig fest, wer von ihnen das sei, das wäre doch nicht so wichtig. In drei Stunden sagen sie alle dann auch nicht einen Satz, den man als Kritik am anderen auslegen könnte. Das böse Wort „Blockflöte“ fällt nur ein einziges Mal, und das in einem Zusammenhang, der alle glücklich macht. „Ich habe nichts gegen Blockflöten“, sagt Vera Lengsfeld. Die anderen nicken. Wir auch nicht, soll das heißen.

Überhaupt ist Vera Lengsfeld sehr bemüht, jedes nur denkbare Vorurteil, das man gegen sie haben könnte, zu widerlegen. Sie spricht mit Hingabe von der Steuerreform, vom Abbau der Arbeitslosigkeit, von der Revitalisierung alter Kalibergbaugebiete. Natürlich habe sie auch schon früher bei den Grünen umstrittene Verkehrsvorhaben nicht pauschal abgelehnt. Sie klingt, als könne sie die erste Sitzung des Wirtschaftsausschusses im neuen Bundestag kaum erwarten. Der Kampf gegen den Kommunismus droht vollends in Vergessenheit zu geraten.

Statt dessen sieht alles nach Versöhnung aus. Jeder Mensch könne sich ändern und zum Demokraten werden, sagt Lengsfeld beschwörend. Die Blockflöten trauen ihren Ohren nicht. Sie hören, daß sie keine Altlasten mehr sind. Sie seien doch wegen der christlichen Werte in der DDR- CDU gewesen oder weil sie der Zumutung einer SED-Mitgliedschaft entgehen wollten. Das hat ihnen lange keiner mehr gesagt. Das kommt gut an in Weimar. Nach der Veranstaltung sprechen sich die rund 50 christlich-demokratischen Arbeitnehmer für ihre neue Parteifreundin als Direktkandidatin im Wahlkreis aus.

„Die Bürgerrechtler und die CDU gehören im Osten zusammen“, hatte Vera Lengsfeld am Ende des Abends ausgerufen. Vielleicht wird ja doch noch eine Freundschaft daraus.

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