Die Patrons wollen verhandeln

Die französischen Fuhrunternehmer scheinen zu Konzessionen an die streikenden Fahrer bereit. An einigen Barrikaden gibt es handfeste Auseinandersetzungen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac (RPR) wünscht freie Straßen für seine Citoyens. Premierminister Lionel Jospin (PS) verspricht ein neues Gesetz für den Güterverkehr auf der Straße. Transportminister Jean- Claude Gayssot (KPF) besucht eine Barrikade. Und selbst Helmut Kohl (CDU), der gestern auf Staatsbesuch in Paris weilte, wollte von dem Lkw-Fahrer-Streik und dessen wirtschaftlichen Folgen für Frankreichs Nachbarländer reden.

An ihrem dritten Streiktag schafften es die Streikenden gestern auch, sämtliche Patrons an den Verhandlungstisch im Transportministerium zurückzuholen, nachdem die Vertreter des größten Fuhrunternehmerverbandes, UFT, mehrere Tage lang eine Politik des leeren Stuhls praktiziert hatten. „Wir haben Konzessionen von den Patrons erzielt“, verkündeten Gewerkschaftssprecher in der Mittagspause. Unter anderem sollen die Patrons, die bis dato auf einer Vereinbarung über die Jahresarbeitszeit bestanden hatten, ihre Bereitschaft für eine Regelung der Monatsarbeitszeit in Höhe von 200 Stunden signalisiert haben.

Damit sind die Verhandlungen zwar noch nicht abgeschlossen, aber bei den Gewerkschaften kam Zuversicht auf. Zumal Premierminister Jospin am Vortag in der Nationalversammlung angekündigt hatte, seine Regierung werde dafür sorgen, daß ein Abkommen zwischen Gewerkschaften und Patrons – ganz egal, ob es von allen Arbeitgebervereinigungen und Gewerkschaften unterzeichnet wird – dieses Mal auch umgesetzt werde.

Diese – rechtsstaatlich fragwürdige – Ausweitung eines Lohnabkommens auf eine Branche ist in Frankreich per Dekret möglich. Unter anderem können so Positionen, die sich bei Lohnverhandlungen nicht durchsetzen konnten (egal, ob von gewerkschaftlicher oder Arbeitgeberseite), zur verbindlichen Regelung für eine ganze Branche werden.

Gestern unterhielten die Streikenden noch 150 Barrikaden, die auf große Industrie- und Mineralölzentren konzentriert waren. Frankreichs Außengrenzen blieben – nicht zuletzt wegen der Polizeieinsätze – barrikadenfrei. Erstmals wurden die Blockaden jedoch auf den Autobahnring bei Paris ausgeweitet. Die meisten Barrikaden bestehen aus nur wenigen Lkw, die kleine Autos und meist auch ausländische Lastwagen durchfahren lassen und bloß französische Lkw blockieren.

An einer dieser „filternden“ Sperren kam es gestern morgen in der Nähe der südfranzösischen Stadt Vitrolles zu einer blutigen Provokation, die mit drei verletzten Streikenden endete. Während 20 vermummte Männer mit Eisenstangen auf die Streikenden einprügelten, nutzten drei Dutzend blockierte Lkw eines örtlichen Unternehmers die Gelegenheit, aus der Barrikade zu entkommen.

Im französischen Einzelhandel machen sich unterdessen die Hamsterkäufe von Mehl, Nudeln und Öl infolge leerer werdender Regale bemerkbar. Manche Tankstellen haben geschlossen, andere rationieren die Benzinabgabe auf 20 Liter pro Kunde. Mehrere Fabriken, darunter die komplett auf „Just in time“-Basis fuktionierenden Renault-Werke, mußten ihre Produktion stillegen.

Der Erfolg des Streiks auf wirtschaftlicher, politischer und medialer Ebene ist größer als der des vergangenen Jahres. Und das, obwohl dieses Mal nur ein kleiner Teil der 340.000 französischen Lkw-Fahrer beteiligt ist. Zahlreiche andere Chauffeure sind seit Montag im von ihren Patrons verordneten Zwangsurlaub, andere stehen vor verriegelten Garagen, in denen die Fuhrunternehmer ihre Lkw eingeschlossen haben, damit sie nirgends zur Barrikadenbildung genutzt werden können.