piwik no script img

Auf Grund gelaufen

■ Rentenbeiträge: Die Koalition sucht verzweifelt nach einem Ausweg

Die SPD sagt es, die CDU auch, die Grünen und die Gewerkschaften sagen es, die Arbeitgeber sowieso: Die Lohnnebenkosten dürfen nicht weiter steigen. Denn wenn die Arbeit teurer wird, steigt die Arbeitslosigkeit noch schneller, als sie es ohnehin tut. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, belastet dies die strapazierten Sozialsysteme. Trotzdem wird der Rentenbeitrag auf 21 Prozent angehoben.

Seit Blüm dies verkündete, geht es in Bonn tumultartig zu. Das Schiff ist auf Grund gelaufen, nun streitet man über einen Kurswechsel – zu spät. Plündern wir die Pflegeversicherung, rufen manche. Andere wollen die Rentenreform vorziehen. Doch dann sinken 1998 die Renten – das kostet gerade die CDU Wähler. Verschiebt man die verbesserte Anrechnung der Kindererziehung, wäre das Image der CDU als Familienpartei lädiert. Und selbst wenn man all diese unerfreulichen Dinge täte – der Rentenbeitrag würde trotzdem steigen.

Was die Kohl-Regierung auch unternimmt, es wird keine brauchbare Politik daraus. Freilich sind die Sachzwänge, die nun so übermächtig scheinen, selbstgemacht. Denn im Frühjahr beschloß die Koalition, an der arbeitsabhängigen Rente festzuhalten – Biedenkopfs Grundrenten- Modell wurde abgelehnt. So ist diese Krise womöglich nützlich. Sie hilft, die zähe Illusion zu vertreiben, die an Erwerbsarbeit und Nettolöhne gekoppelte Rente ließe sich durch einige Korrekturen retten. So ist es nicht. Das bundesdeutsche Rentensystem war für eine Gesellschaft konzipiert, in der so gut wie jeder (nicht jede) ein Arbeitsleben lang arbeitete. Die Rente sollte der wohlverdiente Lohn dafür sein. Nun, in deregulierten Zeiten, zerfällt die Grundlage dieses Systems.

Norbert Blüm will das nicht wahrhaben. Eine Grundrente, erklärte er gestern, sei „Betrug an den Fleißigen“. Die Kopplung von Leistungsprinzip und Rente mag in den sechziger Jahren schlüssig gewesen sein, als die Vollbeschäftigung noch die Regel war. Doch heute geht es darum, die knappe Arbeit zu teilen. Auch das spricht für eine steuerfinanzierte, egalitäre Grundrente.

So kann die Schlußfolgerung nur lauten: Abkopplung der Rente von der Arbeit. Dafür wären einige in der SPD, manche in der CDU, viele bei FDP und Grünen zu gewinnen. Doch die Kohl-Regierung scheint in ihrer Not sogar bereit, die Arbeit zu verteuern. Stefan Reinecke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen