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Ledersesselleidenschaften

■ Glasklar gespuckte Verachtung: tg Stan mit „The Last Ones“auf Kampnagel

Sieben Stühle und acht Schauspieler: Es war leicht auszurechnen, daß das nicht gutgehen kann. Eine Reise nach Jerusalem – oder vielleicht, da es sich doch um ein Stück des russischen Dramatikers Maxim Gorki handelt, eine Reise nach Moskau – erwartete der Zuschauer beim Blick auf die Bühne. Und um Die Letzten ging es auch in der Aufführung der belgischen tg Stan; aber glücklicherweise kam alles anders als erwartet.

Die schweren Ledersessel müssen nicht verschoben werden, damit sich einer der Koloniez' nach dem anderen am Vorabend der Oktoberrevolution aus dem Verband der Großfamilie herauskatapultiert. Sohn Alexander ertränkt sich in Dekadenz, die in keinem Verhältnis zur finanziellen Situation des Hauses steht; Sohn Pjotr beginnt, mit den Revolutionären zu sympathisieren; Tochter Vera untergräbt ihre versprochene Heirat mit einem Adligen, und Tochter Ljuba erkennt, daß sie gar keine Tochter ist – was sie im übrigen auch nie sein wollte. Vater Ivan,versoffener Polizist, will aufräumen, doch während er versucht, die ungeliebten Kinder vor die Tür zu setzen, bricht im Haus die dünne Decke der Verwandtschaft, und Haß, Bitterkeit, Resignation und Verachtung füllen das traute Heim bis unters Dach.

Die Letzten ist thematisch fast ein Melodram, doch tg Stan serviert es als schneidendes Verfallsspiel. Das Schauspielerkollektiv, das seit 1989 ohne Regisseur arbeitet, springt souverän durch Gorkis Vorlage. Nicht die russische Seele wird bemüht, nicht Realismus gespielt, sondern der Konflikt dort, wo er brennend ist, kommuniziert. Das Verhältnis von Armut, Macht und Korrumpierbarkeit wird an jeder Figur neu ausprobiert. Daß Frauen von Männern und Männer von Frauen gespielt werden und dazu noch Doppelrollen besetzen, ist zwar bisweilen verwirrend und macht es, kombiniert mit dem starken Akzent des gesprochenen Englischs, nicht immer leicht, der Geschichte in allen Einzelheiten zu folgen. Die Darsteller strahlen jedoch so eine glasklare Souveränität aus und spucken sich derart pointiert die Worte vor die Füße, daß die Aufführung über 100 Minuten auch auf den – bei der deutschen Erstaufführung leider eklatant unterbesetzten – Holzstühlen fesselnd blieb. Christiane Kühl

heute und morgen, 20 Uhr, k2

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