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Posaunen Gottes

Mönchsgesänge und Engelszungen sind längst mainstreamfähig geworden. Das Berliner Festival „eros und ecclesia“ bietet jetzt auch Mittelalter für Puristen  ■ Von Sabine Zurmühl

Als vor über zehn Jahren in Frankfurt Feministinnen das „Fest der 1.000 Frauen“ feierten, hatten sie sich Hildegard von Bingen als Schutzheilige gewählt. Grundlage des Festes war der dreieckige Abendmahlstisch – die „Dinner- Party“ – der Amerikanerin Judy Chicago. Sie hatte für jede historische Person einen Teller gestaltet, zum allgemeinen Entzücken und Entsetzen häufig mit Metamorphosen des weiblichen Geschlechtes geschmückt... Eine Begegnung der mindestens dritten Art, auf die viel Hohn und Spott gegossen wurde. Die spinnen, die Frauen.

Inzwischen ist das Mittelalter- Spiritualitätsbedürfnis globaler und nicht mehr so einfach zur Ironie geeignet: Wie immer, wenn ein Gefühl auch im (männlichen) Mainstream angekommen und dort nicht mehr mit Scham belegt ist, darf sich die gesellschaftliche Verschiebung blank zeigen und auf Akzeptanz rechnen.

Das Festival „eros und ecclesia“ setzt dabei auf Neugier und Erschöpfung gleichermaßen. Erschöpfung von der lauten Beliebigkeit (oder was dafür gehalten wird), der Techno-Vergewaltigung (oder was man sich darunter vorstellt) und der Zerbröselung klassischer Musik in Highlight-Happen – sieben Jahrhundertthemen in 14 Sekunden, bestellen Sie jetzt! Die Sehnsucht gilt einer anderen Dimension der Empfindung, einer noch nicht klappernden und ausverkauften, einer alten unbekannten: der Musik des Mittelalters.

Rezipiert wird sie als Musik, die sich der schnellen Rezeption verweigert, die spröde ist und eben nicht highlightig, die einen Purismus vermittelt, der mehr meint als den Purismus der Melodieführung. Häufig ohne Instrumentalbegleitung, a capella, lockt sie mit der Erfahrung eines sakralen Raumes, der zu Konzentration zwingt, und einem Lob der Langsamkeit – das Echo, der Nachhall verlangen ihr Recht.

Der Eros, von dem in diesen geistlichen Werken die Rede ist, kann nur ein sublimierter sein. Vielleicht gar nicht schlecht in einer Zeit der Cyberspace-Beziehungen. Auch Andy Warhol hat seine Keuschheit gepflegt und lüsterne Lippen gemacht. Die geistliche Musik des Mittelalters folgt meist dem unisex. Männer singen für Männer, Frauen singen für Frauen. Klostermauern verbieten und schützen. Die Geschlechtlichkeit, der Geschlechterdialog, diese Provokation und Irritation sind kaum zu befürchten. Es kann Ruhe einkehren.

Einige Vorzüge des Dinkels

„Die Seele ist die Meisterin, das Fleisch die Magd. Die Seele regiert den ganzen Körper durch Belebung, der Leib aber nimmt die Belebung in sich auf“, schrieb Hildegard von Bingen, die „Posaune Gottes“. Die Ordensfrau (1098 bis 1179) war Äbtissin und Schriftstellerin, Mystikerin sowieso, Medizinerin und Komponistin. Ihre Bücher über die Vorzüge des Dinkels sind um ihren 900. Geburtstag herum genauso beliebt wie ihre mystischen Texte und ihre geistlichen Kompositionen. Ihr Mysterienspiel „Ordo virtutum“ über die Tugenden und Laster hat sich an US-Universitäten zu einem der beliebtesten Stücke entwickelt. Das Ensemble „Sequentia“ unter Barbara Thornton brachte zum ersten Mal den „Ordo virtutum“ in einer Einspielung mit dem WDR heraus – und hatte sensationellen Erfolg. Im Rahmen von „eros & ecclesia“ werden sie mit der Frauenbesetzung des Ensembles, „vox feminae“, Gesänge der Anbetung – auch von Hildegard von Bingen – im Französischen Dom singen.

Früher haben wir Englisch gelernt, jetzt müssen wir Latein lernen. Denn selbstverständlich sind alle Vorlagen in lateinischer Sprache: Die Lieder, Visionen, Gebete sind für die Kirchensprache komponiert – wohl dem, der wenigstens katholisch war... Die New Yorker Gruppe Anonymous 4 ist die erfolgreichste Mittelalter-Gruppe der letzten Jahre – sie hat CD-Auflagenzahlen von einer halben Million. Erstmals treten die vier Frauen – „sie singen wie die Engel“ (Presse-Info) – in größerem Rahmen in Deutschland auf. „Elftausend Jungfrauen“, zum Fest der heiligen Ursula komponiert von Hildegard von Bingen, werden sie in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg singen. Hochartifizielle Musik mit unerwarteten Intervallsprüngen und sehr virtuoser Melodieführung, die aber – durch das dichte Nebeneinander der Stimmen – zu einer großen Klarheit und Ruhe kommen. Wie kaum eine andere Gruppe tritt bei den Anonymous 4 zur Gestaltung der Musik das unverzichtbare Dritte, die Spiritualität der inneren Haltung, auch: des Ortes. Bei der Nachfrage zum historisch-authentischen Musizieren erntet man Schulterzucken. Das sei, das Unerreichbare reproduzieren zu wollen. Es gäbe Quellen, in denen der Rhythmus, andere wieder, in denen die Tonhöhe eindeutig seien. Der Rest, der große Rest ist Interpretation, Singerfahrung, Intuition. Diese Musik ist fromme Musik, sie ist formuliert von Menschen, die ein Leben lang um ihr geistiges Fortkommen gerungen, die sich ihren Fehlern und Versuchungen gestellt haben. In den alten Namen Gottes und des Teufels. Der öffentliche Hochmut gegenüber diesen spirtuellen Übungen mag vielen heute nicht mehr so schmecken.

Nicht zufällig schaffen immer wieder verpoppte Versionen mittelalterlicher Klänge und Anklänge den Einstieg in die internationalen Charts. Da trat Madonna mit Weihrauch und Großkreuz auf, die späten und milden Ausläufer des Punk nannten sich Gothic und Dark Wave, und bald wurden die Gregorianischen Gesänge der Benediktinermönche von Santo Domingo unter dem Titel „Chant“ für den internationalen Markt veredelt. Immer häufer werden die Grenzen zwischen Klassik und Pop auch für diese Musik fließend. Crossover-Produktionen schleichen sich in jugendliche Gehörgänge: Mittelalter für Anfänger – den Purismus für die Fortgeschrittenen...

Mit einer „Missa Cantilena“ wird im Berliner Dom die Gruppe „Mala Punica“ die Woche eröffnen. Mala Punica, die Granatäpfel, Symbol der durchaus weltlich gemeinten Liebe und Symbol des Liebesversprechens. Die Gruppe aus Bologna hat sardische Sänger hinzugezogen, deren Stimmen – gewissermaßen am anderen Ende vom Belcanto – eine ursprünglichere Klangfarbe bewahrt haben. Nun waren wir so viele Jahre auf der ethnologisch hochmotivierten Suche nach den Ursprüngen fremder Kulturen – je weiter, desto besser –, jetzt scheinen auch langsam die eigenen Quellen in den Blick, den hörenden, zu geraten.

Zutiefst weibliche Bild- und Tonsprache

Was aufgeklärte Zeitgenossen – oder solche, die sich dafür halten – immer mit so einem verschluckt amüsierten Hochmut reagieren läßt, der Hinweis auf die Kirchenkultur und die Bibel als Fundament unserer Musik und unserer Bildersprache: In dieser neu erwachenden Aufnahmebereitschaft mittelalterlicher Musik äußert sich der Wunsch nach Transzendenz und Spiritualität. Ganz ohne Scham traut er sich nicht hervor. Die historische Erfahrung mythischen Mists in der Nazi-Zeit identifizieren das Spirituelle als Schwäche. Auch die Veranstalter von „eros und ecclesia“ beeilen sich zu betonen, mit Glauben hätte das Anhören ihrer Musik ja nun überhaupt nichts zu tun. Es sei allein das musikalische Interesse, das die ZuhörerInnen so zahlreich in die Kirchen führe. Zweifel sei erwünscht.

Doch bloß historisch-kritisches Interesse kann den Andrang nicht erklären. Die Legende von der heiligen Ursula, die mit ihren elftausend Jungfrauen lieber in den Tod ging, als einen unerwünschten Mann zu ehelichen, die Geschichte von Hildegard der Klugen, die die Fülle geistlichen Wissens lebte und eben nicht auf Visionen und Gefühle in ihrer Wahrnehmung verzichtete, die Verweigerung konventioneller Sexualität als kulturelles Muster, das den Menschen auch als Einzelwesen würdigt – all dies sind Botschaften im Gepäck der schönen Töne. „Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind“, schrieb Albert Einstein, „ist das Erlebnis des Mystischen. Wem dieses Gefühl fremd ist, wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, der ist bereits tot.“

Die geistliche Musik des Mittelalters spricht, egal, wer sie spielt oder singt, in einer zutiefst weiblichen Bild- und Tonsprache, sie bittet und besteht nicht auf Erworbenem, sie gibt der Liebe Ausdruck und fordert nicht ein. Darin folgt sie der Idee von Hildegard von Bingen, wonach „Musik eine Vorahnung dessen vermittelt, welch Engelgesang einen im Himmel erwartet“.

„eros & ecclesia“: 7.–16. November, mit (u.a.) Anonymous 4, Mala Punica, Sarband, The Harp Consort, Estampie, Jalda Rebling & Ensemble

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