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Burgfräulein für einen Tag

Das Mittelalter boomt: Auf Burgen und Marktplätzen wie in der hessischen Kleinstadt Lich verwandeln sich am Wochenende brave Bürger in kämpferische Ritter, Söldner, Gaukler und Hofnarren  ■ Von Christel Burghoff

Was heißt denn schon Vergangenheit? Etwa begraben und vergessen, abgelegt auf dem Rumpelhaufen der Geschichte? Oder vielleicht subtil verfeinert und von Aufklärung erhellt in die Gegenwart hinübergerettet? Putzmunter, weil sehr beliebt, kommt das Mittelalter daher im Glanze seiner Ritter und Haudegen.

„Erhebet euch von euren Afterbällen!“ trötet laut der Hofnarr, als der Staufenkaiser im Burgpark des hessischen Lich erscheint. Hüben die massigen fränkischen Ritter – drüben die eleganten Sarazenen, grell farbig, fast schon poppig. Mit ihren Topfhelmen sehen sie zum Fürchten aus. Die anderen stecken in schuppigen Panzern und tragen Helme mit wehendem Haar. Eine Mischung aus mythisch und smart.

Sidi Hakim sollte man sich merken. Der Sohn des Sultans hat seine schimmernde Rüstung über schwarzer Kleidung angelegt und reitet mit goldenem Zaumzeug einen grauen Berberhengst. Beim Töpfeabschlagen (eigentlich: Köpfeabschlagen) holt er souverän Punkte für die bedrängten Sarazenen. Vorerst reitet er noch, mißt sich im Bogenschießen, Lanzenstechen, spießt Ringe auf, schlägt den Roland und durchbricht wie die anderen eine Feuerwand. Der Hofnarr kommentiert das Spektakel wie ein aus den Fugen geratener Sportreporter.

Die Story ist schnell erzählt. Einer Delegation aus dem Morgenland wurde im Lager des Kaisers übel mitgespielt. Ein fränkischer Lümmel klaute den Sarazenen eine Kiste mit Gold. Jetzt wird um Sieg und Gold gekämpft, wie es nun einmal so zuging im Mittelalter: Nur wer siegt, hat auch recht. Trotzdem ist die Story merkwürdig modern, weil politically correct. Aller Kampf hier soll dem Frieden dienen und nichts als dem Frieden. Und dies ist historisch nicht ganz falsch, denn wir befinden uns im 13. Jahrhundert, als Ausnahmekaiser Friedrich II. dank freundlicher Kontakte zu den Mohammedanern (was ungewöhnlich genug war) so etwas wie einen „friedlichen Kreuzzug nach Jerusalem“ zuwege brachte. Es ist jenes Jahrhundert, in dem Wolfram von Eschenbach den Ritter Parzival beschrieb und auf der thüringischen Wartburg der sagenhafte Sängerkrieg, ein Wettstreit um den besten Sänger weit und breit, stattfand. Dieses Jahrhundert brachte einige lernfähige Gewalttäter hervor.

In Lich leben sie alle wieder auf: In dieser mittelhessischen Kleinstadt am Rande des Vogelsberges und nicht allzufern von Frankfurt am Main lagert die illustre Friedenstruppe im Schatten alter Bäume und mit Wassergräben und altem Schloß als Kulisse. Ein „Mittelalterlich Spectaculum“ nennt es Gisbert Hiller, der Veranstalter. „Fogelvrei“, eine Organisation zur Ausrichtung mittelalterlicher Märkte, hat die „Marketenderey“ beigesteuert. Für die Ritterspiele hat Hiller Reiterprofis organisiert, wie man sie irgendwie kennt: Sie fallen so gekonnt vom Pferd wie seinerzeit nur Tony Curtis in den Ritterfilmen der Fünfziger, als er für England und die Ehre der Damen stritt. Sie lassen das Metall krachen, wenn sie fallen, sie hantieren mit Totschlägern und Riesenschwertern, und alles in mittelalterlichen Rüstungen und Gewändern. Wenn Hiller durch die deutschen Lande tourt, dann kriegen sie alle wieder ihre Chance: Ritter, Söldner, Heerführer, Bogenschützen, Knappen, Händler, Musikanten, Gaukler, Feuerspucker, Wahrsager, Zauberer, Stelzenläufer, Edelfrauen.

Und das bringt Publikum auf die Beine. Zwischen 10.000 und 40.000 Besucher kommen an solchen Wochenenden zusammen. Am leichtesten sind die Kinder zu begeistern. Als die siegreichen Helden schließlich alle gemeinsam ihren Sieg gefeiert und sich zwecks Versöhnung in den Armen gelegen haben, greifen die Kids zu den Waffen, drängen – allen friedenspädagogischen Bemühungen zum Hohn – zu den nächst erreichbaren Lanzen und Schwertern, die es auf dem Markt für ein paar Silberlinge zu kaufen gibt. Helme mit beweglichem Visier aus schwarzer Pappe sind auch da. Die Requisiten der Aggressivität. Doch die wahren Fans des Rittertums sind die Ritter selbst.

Ihre Spur führt in die Kulissen. Hier, am Rand des großen Marktes, wo sich das Mittelalter am malerischsten gibt, nämlich mit den bunten Zelten, den Baldachinen, den Fahnen und Wimpeln, da lagern die „Wilden Horden“ und die Heere. Der „Eichenbund“ ist darunter, die „Richterschaft der freien Reichsstadt Coeln e.V.“, die „Sindorfer Hunnen“ und die „englischen Bogenschützen“. Es sind diejenigen Bundesbürger unter uns, die das Mittelalter täglich leben – und wenn nicht täglich, dann doch zumindest am Wochenende. „Wir machen das als Hobby sozusagen“, erklärt der Ritter zu Coeln. Und der Ritter vom Eichenbund bestätigt: „Wir haben hier nichts von, wir werden nicht bezahlt. Wir sparen quasi nur den Eintritt.“ Dafür haben sie einen großen Auftritt: Wenn das Turnier beginnt, dann marschieren sie geschlossen und kostümiert zum Kampfplatz, drehen eine Ehrenrunde und repräsentieren das mittelalterliche Universum. Der Rest heißt Feiern. Heißt Spießbraten über dem Lagerfeuer drehen und nächtliches Gelage bei Qualm und lauter skurrilen Typen. Kurzum: ein rittermäßiges Wochenende.

„Ich habe immer mehr Anfragen von Vereinen, die teilnehmen wollen“, erklärt der Veranstalter. „Mehr, als ich auf dem Gelände unterbringen kann.“ Kein Wunder, daß es immer mehr werden, denn das Mittelalter boomt. Nicht bloß im stillen Kämmerlein. Auf Burgruinen und im Grünen, in Wäldern und nächtens auf der Wiese übt sich eine mittelalterliche Subkultur in ihren traditionellen Ritualen. Kämpft gegen Drachen und andere Ungeheuer. Manchmal, wenn erschrockene Spaziergänger nach der Polizei rufen, dann dringt ihre Existenz an die Öffentlichkeit. Hier in Lich geben sich die Mittelalterlichen gesprächig wie am Tag der offenen Tür. „Beim gemütlichen Beisammensein pflegen wir das Brauchtum, wir entwerfen und fertigen neue Gegenstände.“ Sie zeigen ihre Arbeiten: Schwerter, Kettenhemden, Schilde, alles selbstgemacht. Wer will, kann teilhaben und mal die Axt werfen oder mit dem Bogen schießen und die Armbrust ausprobieren. Die Ritter zu Köln sitzen an halbrunder Rittertafel auf hohen Stühlen, die wilden Hunnen lagern dekorativ auf Fellen und sehen dabei furchtbar wild aus, und ihre Frauen geben sich der Schminke und der Kleidung hin oder häkeln. Und der Eichenbund kämpft, was er an Scharmützeln auftun kann. Engländer machen Schotten an. Mal kurz mit dem Schwert den Schottenrock gelüpft und laut getönt: „Der Schotte ist dumm.“ Und schon krachen die Schwerter aufeinander. „Tja“, sagt der Kämpfer, „man muß lernen, die Waffen zu beherrschen.“

Draußen auf dem Markte flaniert indes das Volk. Es kauft ein, es trinkt Met; Holzspielzeug, alte Instrumente, Backwaren, Felle und jede Menge echte Kuhhörner gehen über die Tresen. Zwischen häßlichen Fliegenfressern, Mönchen und derben Marktweibern bewegen sich elegant die Burgfrolleins im samtenen Outfit. Die Farbe Grün macht sich besonders gut zum langen blonden Haar. Eine bleichgesichtige Gruppe sogenannter Grufties ist zufällig vorbeigekommen, und man staunt, wie gut sie doch ins Bild paßt mit ihrem vampiralen Outfit.

Natürlich ist die düstere Seite des Mittelalters längst im Veranstalterprogramm der Gaukler. Da hängt die junge Frau dekorativ im hochgezogenen Käfig und beschimpft die johlenden Zuschauer, wo sie doch nur ein Mann befreien kann, der auch gewillt ist, sie zu ehelichen.

Und auch der Pestumzug verfehlt nicht seine beängstigende Wirkung. Immer wieder muß ein Papa seiner kleinen Tochter beteuern, daß es wirklich keine Hexen gibt. Angesichts der Gothic People blickt man zum Schloß und wartet auf die Fledermäuse. Und wer nicht wartet, der macht Fotos wie sonst nur im Urlaub. Oder philosophiert wie das ältere Pärchen beim Bier: „Ja, ja, wenn das Ursprüngliche mal rausdarf, damit läßt sich gut Geld machen.“

Ursprünglich? Da irren die Herrschaften sicher. Selbst Organisator Hiller sieht den Boom des Mittelalters realistisch: „Das Mittelalter wird oft recht verklärt gesehen. Relaxed und ohne Streß und Action.“ Daß sich damit Geld verdienen läßt, stimmt garantiert. Denn Hiller erzählt noch, daß er die Tour von acht auf zehn Orte pro Jahr ausweiten will. „Für jedes Bundesland einen.“

Als es Abend wird, erhebt sich ein älteres Paar und tanzt auf dem Rasen, langsam und getragen. So liebt man unser Mittelalter, ein familienfreundlicher Phantasiespaß. Friede der Vergangenheit.

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