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Kompetenter nörgeln

Jeder kann es, jeder tut es. Man mosert und nörgelt heute nur noch selten nuschelnd, sondern laut und bestimmt. Wer nörgelt, stellt die Frage nach den Eliten. Über Ruckreden, Oggern und andere Formen elaborierten Moserns. Eine kleine Geschichte des Raunzens  ■ Von Harry Nutt

In eine Berliner Galerie, die Mitte der achtziger Jahre großformatige Metallkästen eines zeitgenössischen Künstlers ausstellte, kam eines Tages ein Besucher, der seinen Besichtigungsrundgang bereits nach zwei Minuten absolviert hatte. „Und det soll Kunst sein?“ blaffte er in die Richtung des verdutzten Aufsichtspersonals, ohne eine Antwort abzuwarten. Ein umständliches Gespräch über das Dargebotene blieb aus. Der Mann hatte sich und seinem Kunstverständnis bloß Luft gemacht, mit einem Wort: genörgelt.

Das Wort „Nörgeln“, verrät der etymologische Duden, ist lautmalerischen Ursprungs. Es bezeichnet ein halblautes Murren oder Brummen, eine Mißfallensbekundung unterhalb der Schwelle zur Artikulation. Für das Dahingenörgelte gibt es keinen direkten Adressaten, aber es hat deutlich Appellcharakter. Es sollen ruhig alle hören. Einer, der es mit dieser Regungsäußerung zu einer gewissen Kunstfertigkeit und Berühmtheit gebracht hat, war der Wiener Schauspieler Johann Julier, besser bekannt unter dem Namen Hans Moser. Sein nasales Nuscheln war sein Markenzeichen, das zugleich die Haltung eines allgemeinen Charaktertypus seiner Zeit zum Ausdruck brachte. Mosern war die lautliche Aufmüpfigkeit eines Unzufriedenen, der sein Aufbegehren bereits im Moment des Lautausflusses wieder zurücknahm. Es sollte rasch dahin gesagt sein, aber es sollten ihm daraus auch keine Schwierigkeiten erwachsen.

Hans Mosers Rolle war die des devoten Dienstmanns, sein Nörgeln sowohl ein Ächzen unter dem Gepäck der Herrschaften als auch eine Klage über das Gewicht der Welt. Abnehmen sollte man ihm das Gepäck aber auch wieder nicht. Weit davon entfernt, an den Lebensumständen etwas ändern zu wollen, war Mosern der Blues des servilen Kleinbürgers. Es ging immer nur in eine Richtung. Die Herrschaften, lautete seine Einstellung, müssen ja wissen, was sie tun. Heute begegnet man dem Moserer eher selten, gelegentlich noch in Gestalt des alkoholisierten Verlierers, der mitunter ausländerfeindliche Parolen von sich gibt oder Nazilieder anstimmt. Als Sprechweise steht ihm nur das Nuscheln zur Verfügung, weil der schwere Kiefer schon nichts anderes mehr zuläßt.

Das Nörgeln unserer Tage hat sich derweil elaborierte Ausdrucksformen gesucht. Ein signifikantes Beispiel für ein gehobenes Nörgeln, das in beachtlicher gedruckter Auflage vorliegt, sind die Bücher des Münchner Wirtschaftsjournalisten Günter Ogger, der dabei systematisch und branchenweise vorgegangen ist. Mit Akribie und Datenwut hat er sich zunächst der Klasse der Wirtschaftskapitäne und Manager zugewandt und sie als „Nieten in Nadelstreifen“ entlarvt. Wenig später kamen die Banker an die Reihe und zuletzt die verschiedenen Dienstleister, die nur im Sinn haben, die Kunden, also unsereinen, nach Strich und Faden abzuzocken. Wir Konsumenten sind wehrlose Opfer von Verkäufern aller Art.

Anders als das Mosern hat das Oggern einen beinahe aufrührerischen Sound. In der Kritik an den Bossen und Banken klingt, auch wenn sie ganz und gar unmarxistisch daherkommt, ein Hauch von Kapitalismuskritik an. Diese neue Form des Moserns weckt ferner den Verdacht: Die da wissen nicht, was sie tun, und falls doch, dann um so schlimmer für uns. Diese Variante des Nörgelns geht nicht mehr nur von unten nach oben. Jeder kann es, jeder tut es, und manchmal tut es richtig gut. Wer regelmäßig die Dienste von Geldinstituten, Staatsunternehmen und Handwerkern beansprucht, kann leicht in den Grundton des Oggerns einstimmen. Neulich in der Autowerkstatt zum Beispiel...

Über die übliche Beschwerdepraxis hinaus ist solches Oggern längst als eine stereotype Form der Alltagskommunikation zu beschreiben, die die Grundstimmung des modernen Staats- und Wirtschaftsbürgers im Verhältnis zu den Institutionen wiedergibt. Der Sound ist nicht neu. Das Oggern ist durchaus der verklärenden Redensart verwandt, derzufolge alles immer schlimmer wird, während früher alles besser war. Die Plausibilität jener melancholischen Klage über das Vergehen von Lebenszeit bei gleichzeitigem Niedergang des Wertehorizonts liegt in ihrer Unbestimmtheit. Von den anderen hat man in der Regel nichts Gutes zu erwarten.

Das Oggern unserer Tage bezeichnet das Unbehagen ganz konkret, bisweilen wird es mit erstaunlicher Detailfülle und Kompetenz ausgebreitet. Oggern überführt die alltägliche Unterlegenheitsparanoia des Nörglers in einen Entlarvungszwang. Dem Oggerer kann man nichts vormachen. Man weiß doch, daß Elektrohändler kalkulierten Verschleiß verkaufen und Verpackungsdesigner die schöne Warenwelt bei gleichzeitiger Dezimierung des Angebots vorgaukeln. Und natürlich knöpfen die Telekom und die Banken uns Gebühren ab, wo sie nur können. Diese Redeweise ist das Nuscheln des heutigen Informierten. Ausgewiesene Kenntnisse über Werbepraktiken sind eine Basisqualifikation, und der versierte Oggerer versteht sich auf Produktkenntnis, ökonomische Analyse und Verflechtungszusammenhänge. Nicht selten hat er recht. Und er weiß sich zu wehren, auch mit juristischen Mitteln, wenn es sein muß, bis zum Bundesverfassungsgericht.

In diesem Sinne darf man den organisierten Widerstand gegen die Rechtschreibreform als erfolgreiche Aufführung eines zeitgemäßen Nörgelns ansehen. Die Beharrlichkeit, mit der die Reform zurückgewiesen wird, ist vielleicht weniger von guten Argumenten gegen die Neuregelung der geschriebenen Sprache geleitet, als von einem abgrundtiefen Mißtrauen gegen die Kader, die sie durchsetzen wollen. Denen sollte man es mal richtig zeigen, lautet seit jeher die Devise des Nörglers. Ohne Umschweife gibt Lehrer Friedrich Denk, der die Rechtschreibreform beinahe im Alleingang erledigt hat, denn auch zu, er habe bloß einmal eine Kampagne machen wollen. Eine Preisträgerin eines von ihm ins Leben gerufenen Literaturpreises war selbst einmal Gegenstand einer Kampagne geworden. Sein Kampf gegen die Rechtschreibreform war nicht zuletzt eine praktische Übung in Sachen Kampagnenstrategie.

Nörgeln befaßt sich im Grunde immer mit den Eliten. Ein prominentes und aktuelles Beispiel ist die zweite Ruckrede von Bundespräsident Roman Herzog, der sich nach seinen Appellen an die Wirtschaftsführer nun den Bildungsinstitutionen zugewandt hat. „Ihr seid nicht mehr gut und rasch genug“, ruft er darin den Wissenschaften zu und: „Es geht darum, Tabus zu knacken, Irrwege abzubrechen und falsche Mythen zu beseitigen.“ Darunter ist allerhand zu verstehen. Das Nörgeln zielt immer auf die allgemeinen Zustände.

Während der Nörgler immer leicht resigniert über die Unveränderbarkeit der Welt lamentiert, sagt Herzog nichts anderes als: Es muß alles besser werden. Das ist natürlich nicht richtig genörgelt, schon wegen seiner öffnenden Absicht. In vielen Punkten geben ihm kluge Zuhörer sogar recht. Um Herzogs Rede in diesem Kontext besser zu verstehen, muß man wissen, daß er mit anderen Professoren Anfang der achtziger Jahre die Notgemeinschaft Freie Universität (NoFU) mit ins Leben gerufen hat, die sich weniger um Lehrinhalte besorgte, sondern eine linke Hegemonie in der Hochschulführung fürchtete. Der Name Notgemeinschaft hatte etwas schwer Nörglerisches, was man, schon um der politischen Ausgewogenheit willen, auch der Ruckrede von Günter Grass zubilligen muß.

Dies ist übrigens keine Nörgelei über Staatsoberhäupter, Bürgerinitiativen und engagierte Meinungsführer. Deren Versionen des Nörgelns sagen vielmehr etwas über den Zustand der Eliten selbst aus. Diesen schlägt, gewiß nicht ganz unbegründet, mehr offenes Mißtrauen entgegen als je zuvor. In seinem letzten Buch, „Die blinde Elite“ (Hoffmann und Campe) beschreibt der 1994 gestorbene amerikanische Soziologe Christopher Lasch, wie egoistische Führungskader emsig ihren Geschäften nachgehen, aber der Gesellschaft nur noch gleichgültig gegenüberstehen. In Laschs Skizzierung der Eliten kommt noch einmal geballt die linke Skepsis zum Vorschein, der zufolge Eliten sich als herrschende, oder in diesem Fall, privatistische Clique gegen die anderen erheben. Deutsche Eliten waren im besonderen verdächtig, sich in Phantasmen vom Herrenmenschentum zu verlieren.

Auf der anderen Seite sollte man sich vor Augen führen, daß der Elitenbegriff im Grunde ein demokratischer ist. Eben nicht Blut und Herkunft, sondern Wettbewerb und Leistung entscheiden über gesellschaftliche Schlüsselpositionen. Daß die Funktionseliten bisweilen einer recht diffusen Kritik ausgesetzt sind, heißt zunächst einmal nur, daß sich die Elitenformationen in einem Wandel befinden. Sie sind unübersichtlicher, aber auch durchlässiger, bisweilen egoistisch, aber auch flexibel.

Das hat auch den öffentlichen Umgang mit ihnen verändert. Während in den achtziger Jahren noch abschätzig die Figur des Yuppies, ein Aufsteiger auf dem Weg in die Finanzeliten, bemäkelt wurde, richten die Sozialwissenschaften nun mit wachsender Neugier den Blick auf „Neue Selbständigkeit“ und „Junge Eliten“. Es ist vielleicht nicht die schlechteste Nachricht, daß ein sozialer Wandel auch am sozialen Grummeln abzulesen ist.

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