: Der Untergang der „Scantrader“
Ab morgen ein Fall fürs Gericht: der Tod von zwölf Seeleuten ■ Von Heike Haarhoff
Südwestwind Stärke neun, in Böen zehn bis elf. Seegang acht Meter und höher. Seit dem Abend warnen die Seewetterstationen im nordspanischen Bilbao vor einem Sturm in der Biskaya. Kein Schiff verläßt an diesem Februarmorgen freiwillig den Hafen. Der Atlantik ist nicht nur unberechenbar, er ist lebensgefährlich.
Der Zementfrachter „Scantrader“, ein deutsches Schiff unter der Flagge Maltas, läuft trotzdem aus. An Bord: zwölf Männer – fünf Polen, vier Inder, drei Deutsche – sowie 2.363 Tonnen Zement, auf dem Weg in die englische Hafenstadt Sharpness. Die Ware ist pünktlich abzuliefern, für jede Verspätung zahlt der Reeder, und pünktlich heißt heute: Es ist der 11. Februar 1990, es ist fünf Uhr morgens.
Zwölf Stunden später empfängt die englische Küstenwache das Signal eines Rettungsfloßes. Das der Scantrader. Doch das Floß ist leer, von Besatzung und Schiff keine Spur. Nach tagelanger Suche wird die Befürchtung zur Gewißheit: Die Scantrader ist gesunken, und zwar so schnell, daß keine Zeit blieb, einen Notruf auszusenden. Alle zwölf Besatzungsmitglieder werden für tot erklärt.
„Das war kein tragischer Unfall“, steht für Klaus Meyer von der ÖTV-Abteilung Seeschiffahrt in Hamburg fest. Der 26 Jahre alte Frachter habe erhebliche Sicherheitsmängel aufgewiesen, zudem war er um rund 300 Tonnen überladen. Der Lübecker Senior-Reeder Heinrich B., sein Sohn Heiner, Geschäftsführer der Hamburger SK Schiffahrt, und Heiner B.s Kompagnon Jerzy K., denen die Scantrader gehörte, hätten das Risiko in Kauf genommen. Meyer erstattete Anzeige. Ab morgen müssen sich die drei beschuldigten Reeder vor dem Amtsgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft, deren Anklage auf Mord nicht zugelassen wurde, wirft ihnen nun „gefährlichen Eingriff in den Schiffsverkehr“vor. Der Strafrahmen liegt bei drei Monaten bis fünf Jahren.
„In keinem Fall darf der Eindruck entstehen, die Sicherheit in der Schiffahrt sei dahin“, warnt Friedrich Wragge von der Seeberufsgenossenschaft in Hamburg. Im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums kontrolliert sie die Sicherheit auf deutschen sowie ausländischen Schiffen, die in deutschen Häfen anlegen. Doch auch Wragge weiß: Die Scantrader ist kein Einzelfall. Immer mehr Reeder sparen aus Profitgier an Sicherheit und Fachkompetenz der Besatzung. Nur: Verstöße nachzuweisen, ist ungeheuer schwierig – trotz internationaler Abkommen: „Letzt-endlich sind die Reeder und der Flaggenstaat verantwortlich“.
Warum? „Ursache allen Übels sind die Billigflaggenschiffe“, klagt ÖTV-Mann Meyer. Immer mehr Reeder aus Industriestaaten melden ihre Schiffe in Billiglohnländern wie Malta, Liberia oder Panama. Der Vorteil: Sie können die Besatzung nach dortigem Tarif entlohnen, Steuern sparen, Sicherheitsauflagen umgehen. Und: Kommt es zu Unfällen, muß grundsätzlich der Flaggenstaat ermitteln. Malta aber, das über keine eigene Flotte verfügt, hat gar keine Seegerichtsbarkeit. Deutsche Reeder haben dort keine Strafen zu fürchten. Daß im Fall der Scantrader dennoch nach dem deutschen Seeunfall-Untersuchungsgesetz ermittelt wurde, „liegt nur daran, daß drei der Männer an Bord zufällig Deutsche waren“, merkt Meyer bitter an.
Das zuständige Seeamt Emden erklärt 1990: Der Reeder sei möglicherweise für die Überladung und damit den Untergang verantwortlich. Das Bundesverkehrsministerium aber kassiert den Schuldspruch wieder ein: „Wir sind nicht der Weltpolizist.“
Erst die hartnäckigen Recherchen des ARD-Autors Wilfried Huismann für seinen Dokumentarfilm „Das Totenschiff“(1994) untermauern die schweren Vorwürfe: Ehemalige Besatzungsmitglieder bezeugen die gefälschten Stabilitätspapiere, mit denen der Kapitän überredet wurde, mehr Zement zu laden als zulässig. Auch habe der Reeder die unzureichend qualifizierten Offiziere gezwungen, trotz des schlechten Wetters auszulaufen. Die Maschinenanlage sei seit langem verrottet, die Seewasserleitung leck, doch Reeder Heinrich B. habe die Reparatur immer wieder verschoben. Für seinen engagierten Journalismus wird Huismann mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet; die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Bleibt die Frage, weshalb den spanischen Hafenbehörden nicht auffiel, wie schrottreif die Scantrader war: „Die sind personell so schlecht ausgestattet, daß sie meist nur die Papiere kontrollieren können“, sagt Meyer. Wasserschutzpolizei und Seeberufsgenossenschaft nicken. Die europäische Hafenstaatkontrolle verpflichtet sie zwar, jedes vierte Schiff unter ausländischer Flagge vor dem Auslaufen zu kontrollieren. Aber: „Wir prüfen nicht, wenn das Schiff im letzten halben Jahr bereits besichtigt wurde.“Viele mangelhafte Schiffe fallen so durchs Raster. Die Scantrader war eins von ihnen.
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