: Jung Blut und alt Gewand
■ Hip-Hop-Kids, grätschende Gitarristen und die feiernde grüne Generation
Als gegen 23 Uhr die „Stehpisser“in die Saiten schlagen, ist alles wie früher. Ehrlicher Rock mit englischen Texten, Gitarristen mit leicht gegrätschten Beinen: Die grüne Rest-Familie, die sich noch nicht zur Ablösung des Babysitters nach Hause oder in ruhigere Kneipen abgesetzt hat, entert die Tanzfläche. Leiber hopsen und springen und stampfen. So mögen sich die selben Menschen vor 18 Jahren bewegt haben, als die Grünen ihren Bremer Landesverband gründeten.
Früher am Abend: Die beiden Hip-Hop-Girls von „Mutlu“blasen der Lehrergeneration bei der „Grün wird 18“-Party im Modernes neuzeitlichen Retortensound um die Ohren. „Laß ihn raus, laß ihn raus den Tiger, irgendwann bist du der Sieger“. Deutscher Rap, mit dem auch Rock-Opi Udo Lindenberg im Vorprogramm seiner Tour den Draht zur Jugend bewiesen hatte.
18jährige, die mit dem Act angelockt werden sollten, sind an einer Hand abzuzählen. Auch die meisten Twens unter den Grünen-Sympathisanten haben es vorgezogen, die 11,11 Mark für den Eintritt an einer Kinokasse abzugeben.
„Die Grünen sind eine „One-Generation“-Partei, sagt einer aus dem in Bremen kaum zehn Köpfe zählenden Häuflein jüngerer Aktivisten betrübt. Ein früherer Parteisoldat spricht unverblümt von „Rentneratmosphäre“. Das ist unfair: Das Durchschnittsalter im Modernes ist immer noch niedriger als in einem aktiven Bremer Lehrerkollegium.
So wippen Mittvierziger mit dem Fuß zum Hip-Hop-Sound, den sie sonst nur aus den Zimmern ihrer halbwüchsigen Kinder dröhnen hören. Einige Mutige beweisen Aufgeschlossenheit beim Tanz vor der Bühne. Selbstverständlich bekommen die Mädels von „Mutlu“ihren Applaus für eine Zugabe. „Diese Musik zeigt doch, wie gut sich deutsche und türkische Kulturen befruchten“, erläutert der Conferencier. Er trägt zum schwarzen Smoking einen rot-grünen Irokesenschnitt und Nasenring.
Parteiveteranin Christa Bernbacher kleidet sich traditioneller. Sie trägt dasselbe grün, beige und schwarz gestreifte Sackkleid wie vor 18 Jahren: „Dieses Gewand ist älter als du“, sagt die Abgeordnete in der Polit-Talkrunde über grüne Zukunft zum Partei-Vorzeige-Jugendlichen Jan Fries. Der Gymnasiast, von Landesvorstandssprecher Hucky Heck als „Mitglied des Kreisvorstandes Schwachhausen“vorgestellt, mosert ein bißchen: „Viele in der Partei haben noch nicht eingesehen, daß sie älter geworden sind.“Es sei nötig, „aus Berufsjugendlichen echte Jugendliche zu machen“.
Christa Bernbacher, mit Unterbrechung zehn Jahre in der Bürgerschaft, nickt zur Forderung des als Schülervertreters engagierten Fries nach einem Generationswechsel. Wenig später kündigt sie an, noch in weiteren 18 Jahren ihr historisches Kleid bei den Grünen vorzeigen zu wollen. „Die Jugend beneidet uns um unser Lebensgefühl von damals“, sagt die 66jährige, „wie wir Politik, Leben, Spaß, Spontaneität und Aktionen verbunden haben“. Junge wie alte Grüne sollten wieder mehr Aktionen außerhalb der Parlamente starten, das sei „eine Kraftquelle“.
„Dann müßt ihr mit mir mitmachen“, ruft der alte Hollerland-Verteidiger Gerold Janssen, mittlerweile über siebzig. Mit seinem Appell, dabei zu sein, wenn es wieder um die bedrohte Natur im Hollerland gehe, avanciert er zum Star der Veranstaltung.
Die angereisten Prominenten, Bundesvorstandssprecher Jürgen Trittin, ein „Linker“, und der Hamburger Ex-Bundestagsabgeordnete und „Realo“Jo Müller haben sich zuvor routiniert kleine Gehässigkeiten an den Kopf geworfen. Mit einem Aufruf zum Optimismus, gegen Kohl und mit der Versicherung, die verändernde Kraft gegen den unbeweglichen „Mainstream der Gesellschaft“zu sein, entlassen die Promis das grüne Publikum auf die Tanzfläche zum guten alten Gitarren-Rock der „Stehpisser“.
Joachim Fahrun
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen