: Nachrichten aus dem Reich der Schatten
■ „Frauenwahnsinn“am Freitag: Lesung im ZKH Bremen-Ost aus alten Psychatrieakten und vieles mehr
Feine, klebrige Fäden spinnen sich hin und her zwischen Gefühlen und Überzeugungen der Menschen. Das ist einem objektiven Weltbild zwar nicht besonders förderlich, läßt sich aber kaum vermeiden. Bei Helene von Druskowitz und Elisabeth Wilkens nun war die Verklammerung von Herz und Hirn noch viel enger. Denken wurde zum Wellenkräuseln auf den Meeren der Gefühle. Denn die waren uferlos und gefräßig. Zumindest über viele Jahre hinweg.
Druskowitz verschwand 1891 hinter den Mauern der niederösterreichischen Landesirrenanstalt Mauer-Oehling. Befreit hat sie erst der Tod 1918. Und auch Wilkens Seele saß fest in der Umklammerung der Psychiatrie. 1910 wurde das St. Jürgen Asyl Bremen, Vorläufer des ZKH Ost, ihre neue, letzte Heimat. 1944 wurde sie ermordet in der „Tötungsanstalt“Meseritz. Ulrike Johannson liest am Freitag Texte der beiden Frauen über Gott, Geschlechterrollen, Gut, Böse und die Liebe, Mimmi Nilsdotter wird Gesangseinlagen dazwischenstreuen.
Unterschiedlicher als bei Druskowitz und Wilkens könnten die Ausgangslagen zweier Leben, Krankheitsgeschichten, Denkverläufe nicht sein. Bei der Druskowitz muß es sich um eine Überfrau gehandelt haben: nicht nur bildschön und musikalisch hochbegabt, sondern selten umfassend gebildet.
In Zürich studierte sie so ziemlich alles, was es zwischen Philosophie und Archäologie gibt. Im zarten Alter von 22 stemmte sie eine Dissertation über Lord Byron; erst die zweite Frau, die innerhalb der Geisteswissenschaften promovierte.
Vielleicht waren es die schwulstig-spätromantischen Sujets, die der Shelley-Übersetzerin und (kurzfristigen) Nietzsche-Freundin zum Verhängnis werden sollten. Im Dunst von Übermenschen, Geniekult, literarischen Hymnen an alles Verschattete und – reichlich quer dazu – einem realen Neid-Kleinkram-Gehacke läßt sich schwer atmen. Nietzsche, nach bösen Attacken der viel Jüngeren: „Die kleine Literatur-Gans Druskowitz ist alles andere als meine Schülerin.“
In ihren wahnsinnigen Jahren jedenfalls vermischt sie die großen, wichtigen, emanzipatorischen Bewegungen der Zeit – Feminismus und Atheismus – mit erzromantischer Weltuntergangsstimmung und jeder Menge hilfloser Haudraufgehässigkeit.
„Von ihrer früheren umfangreichen Bildung bestehen noch recht ansehnliche Rudimente, die sie aber nicht mehr logisch zu verwerthen vermag“, spricht die medizinische Akte.
In einer Sturzflut von apodiktischen Aufforderungen, Aphorismen, Manifesten, Handlungsanweisungen bekriegt sie den Mann. Aber nur als Abstraktum. „... harmlos, gutmütig, dabei dankbar für jedes freundliche Wort, erklärt sie dann den Betreffenden sofort als Ausnahme seines bocksbeuteltragenden Geschlechts“, soviel dazu wieder die Krankenakte. Im – vielleicht berechtigten – Gefühl des Unterschätztseins singt sie den Frauen ein skurriles Loblied. „Die Frauen sind nicht nur würdigere und holdere Wesen, sondern von vollkommenerer und adeliger Stammung, worauf zahlreiche Beziehungen der Frauen zum Meere in den Mythologien hinweisen.“Bildungsschnipsel fügen sich in einen Gedankenkosmos, dem alle korrigierenden, rationalen Zügel entkommen sind, – vorangepeitscht durch die Macht diverser Sentiments.
Ganz anders wirkten sich psychische Probleme auf die Denkmaschine der Elisabeth Wilkens aus. Nämlich ankurbelnd. Schuldkom-plexe zwingen die einfache Hausfrau und Mutter zu einer gründlichen Überprüfung ihres Weltbildes, ihrer Werte und Normen.
Zwischen den überaus unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Frauen über Gefahren bzw. Tröstungen durch die Religion und über Geschlechterrollen lassen sich iäußerst interessante Vergleiche anstellen. Besonders, da die Texte der einen für die Veröffentlichung bestimmt waren, die der anderen sich ausschließlich an den Vertrauensarzt richteten. Schlüssellochgefühle stellen sich ein bei solchen Bergungsaktionen aus dunklen Krankenhausarchiven. bk
Unter dem Motto „Wahnsinnsfrauen“findet die Lesung am 14. November sowie am 20. und 21. November jeweils um 20 h im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost, Züricher Str. 40, im Haus im Park statt
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