: Bremen einäugig unter Blinden
■ Höhere Steuereinnahmen stürzen Bremen in neues Finanzloch, weil weniger aus dem Länderfinanzausgleich fließt
Für Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) sind die Zahlen eine „sensationell positive Botschaft“. Die Opposition von Grünen und AfB sieht nichts als Schönfärberei. Während in Bund und Ländern die Steuereinnahmen dramatisch wegbrechen, habe sich Bremen „vom Negativtrend abgekoppelt“, sagte Perschau. An der Hansestadt sei der dramatische Steuerschwund im dritten Quartal des Jahres vorbeigegangen. Beim Wirtschaftswachstum liege Bremen mit 2,9 Prozent an der Spitze der Bundesländer.
Trotz Perschaus Erfolgsmeldungen hat Bremen die 66 Millionen Mark, die wider Erwarten zusätzlich eingenommen wurden, nicht in der Kasse, im Gegenteil. Weil die Finanzkraft der anderen Bundesländer in jüngster Zeit rapide gesunken ist, konnte Bremen seine Position relativ gesehen verbessern. Folglich bekommt Bremen weniger aus dem Länderfinanzausgleich und aus den Ergänzungszuweisungen des Bundes. Verrechnet mit den Mehreinnahmen bleibt ein neues Loch: „193,6 Millionen Mark müssen wir ausgleichen im Haushalt 1998/99“, sagte Perschau gestern vor der Presse. Diese Lücke könne nur durch weitere Privatisierung von Vermögen geschlossen werden. Der CDU-Politiker erneuerte seinen Vorschlag, die städtischen Anteile der Stadtwerke zu verkaufen.
Lohnt es sich unter einem solchen System des Länderfinanzausgleichs, bei dem sich höhere Einnahmen nicht direkt in der eigenen Tasche niederschlagen, selbst höhere Einnahmen zu erwirtschaften? Sehr wohl, findet der Senator mit Blick auf Bonn, wo eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe um die Fortsetzung der Sanierungsbeihilfe für Bremen und das Saarland verhandelt. Die relativ bessere Bremer Position entlastet die anderen Bundesländer. Und die will der Bund unbedingt mit im Boot haben, wenn ab 1999 weitere Hilfen an die am höchsten verschuldeten Länder gezahlt werden sollen. Bonn argumentiert neuerdings, bei der Höhe der Sanierung müßten neue Kriterien angelegt und auch die Leistungsfähigkeit der Zahlenden berücksichtigt werden.
Perschau betonte jedoch, daß die verfassungsrechtlichen Ansprüche der Bremer auf Sanierungshilfe grundsätzlich von niemandem ernsthaft bezweifelt würden. Das Bundesverfassungsgericht hatte Bremen 1992 wegen der hohen Schulden von 17 Milliarden Mark und der damit verbundenen hohen Zinszahlungen eine Haushaltsnotlage bescheinigt und dem Bund die Sanierungshilfe aufgetragen. Bremen bräuchte nach den Berechnungen des Finanzressorts mindestens sechs Milliarden Mark, um nach weiteren fünf Sanierungsjahren das Nivau der anderen ärmsten Länder Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein zu erreichen. Eine solche Finanzspritze würde den Schuldenberg auf 11 Milliarden Mark abtragen und die Zins-Steuerquote auf 16 Prozent senken. Bisher trägt Bremen von jeder eingenommenen Steuermark 25 Pfennig zur Bank, um seine Zinsen zu zahlen.
Um den Geberländern eine Wahl zu lassen, haben die Bremer Finanzbeamten sowohl eine einmalige Zahlung von sechs Milliarden als auch eine Überweisung in einzelnen Raten durchgerechnet. Die Einmalzahlung, die für Bremen und das Saarland zusammen 10,7 Milliarden Mark betragen müßte, könnte über eine „Fonds-Lösung“vorfinanziert werden. Die Tilgungsraten für diesen neuen Schattenhaushalt ließen sich dann für Bund und andere Länder geringer halten als direkte jährliche Überweiungen nach Bremen und Saarbrücken.
Eine Entscheidung darüber, wie hoch die Hilfs-Summe sein werde, erwartet Perschau jedoch nicht mehr in diesem Jahr. Die Bremer Opposition verlangt darum, die Beratungen über den Doppelhaushalt zu verschieben. Grüne und AfB werfen Perschau vor, durch eine rosarote Brille zu gucken und die schon bekannten Einnahmeausfälle Bremens in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark zu verschweigen. Joachim Fahrun
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