: „Ketchup“ für Ulrike, Sigurd und Randolf
■ Erfolg für Familienvater und seine drei Rangen: Verwaltungsgericht gab erstmals einer Klage gegen die Rechtschreibreform statt. Das Land Berlin wird nun vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen
Da sitzen sie nun in der ersten Reihe im Plenarsaal des Verwaltungsgerichts, die drei kleinen Menschen, deren Persönlichkeitsrechte durch die Rechtschreibreform beschnitten werden: die 5jährige Ulrike, der 7jährige Sigurd und der 9jährige Randolf. Weil die Geschwister, die die erste, zweite und vierte Klasse einer Spandauer Oberschule besuchen, noch nicht selbst die Gerichte anrufen können, hat das ihr Papi gemacht.
Gestern wurde erstmals der Streit um die Rechtschreibreform von einem Verwaltungsgericht nicht nur im Eilverfahren verhandelt, wie in den bisherigen 22 Verfahren bundesweit, sondern in der Hauptsache selbst. Somit hatten Kläger und Beklagte – der angehende Jurist und Familienvater Gernot Holstein und das Land Berlin – die Möglichkeit, in einer öffentlichen Verhandlung ihre Argumente auszutauschen.
Gernot Holstein, der eine Bürgerinitiative „Wir sind das Rechtschreibvolk“ gegründet hat, sieht sich selbst in seinem Erziehungsrecht und seine Kinder in ihren allgemeinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Mit der Rechtschreibreform könne er seiner im Grundgesetz festgeschriebenen Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder nicht gerecht werden. Es könne nicht sein, so der 40jährige, daß in der Fibel seiner Tochter „Ketschup“, auf der Flasche aber „Ketchup“ stehe. Sein Anwalt, der Jenaer Juraprofessor Rolf Gröschner, der bundesweit mehrere Kläger gegen die Rechtschreibreform vertritt, sagte, es gebe kein Recht des Staates, die Sprache zu regeln.
So sah es auch das Gericht und gab der Klage statt. Das Land Berlin wurde verurteilt, es zu unterlassen, Ulrike, Sigurd und Randolf nach den neuen Regeln zu unterrichten. Das Land Berlin wird nun vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen und dort ein höchstrichterliches Urteil anstreben.
Der Vorsitzende Richter Peter Rueß sagte in der Urteilsbegründung, daß der Kläger durch die Rechtschreibreform in seinen Grundrechten beeinträchtigt werde. Ein solcher Eingriff dürfe „nicht per Verwaltungsrundschreiben geschehen“. Auf ebendiese Rundschreiben hatte sich die Senatsschulverwaltung berufen, als sie im September vergangenen Jahres damit begann, in den ersten Klassen ausschließlich die neuen Regeln zu lehren und in den oberen Klassen nur die Fehler anzustreichen, die gegen alte und neue Regeln verstoßen. Diese Rundschreiben seien einer „Lehrplanänderung“ vergleichbar, argumentierte die Schulverwaltung. Das Lehren der neuen Schreibweise schließe nicht aus – schon allein durch die alten Materialien –, daß die Schüler auch anderen Regeln begegneten.
Beiläufig merkte die Vertreterin der Schulverwaltung vor Gericht an, daß in die meisten Klageschriften bereits die neuen Rechtschreibregeln Eingang gefunden hätten, die Rundschreiben hingegen in der alten Schreibweise verfaßt seien. Barbara Bollwahn
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