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„Wieviel Rotlicht verträgt eine Straße?“

Steindamm: Stadt geht baurechtlich gegen Beschaffungsprostitution vor  ■ Von Heike Haarhoff

„Starr da nicht so hin!“Die Frau hakt sich fester bei ihrem Begleiter unter, legt einen Schritt zu. Auf beiden Straßenseiten Spielhallen, Sexshops. Dazwischen ein Optiker, Dönerbuden, Peepshows, ein Schuhgeschäft, das Hansa-Theater, Stundenhotels. Der Steindamm in St. Georg, drei Schritte vom Hauptbahnhof, ist kein Ort für einen gemütlichen Einkaufsbummel.

„Wer's vermeiden kann, tut sich diesen Anblick nicht an“, weiß Stefan Seifert vom Sanierungsträger ASK. In Hauseingängen wickeln zwielichtige Gestalten ihre Geschäfte ab. „Die Männer hier“, sagt eine Mitarbeiterin der örtlichen Drogenhilfe verächtlich, „haben eine perverse Lust auf diese verelendeten, erpreßbaren Kinder“. Die heißen im Behördendeutsch Beschaffungsprostituierte und sollen nach Möglichkeit „weg“. So jedenfalls fordern es Gewerbetreibende vom Steindamm, die außerhalb des Rotlichtmilieus tätig sind.

„Denen bleibt die Laufkundschaft weg, die haben Existenzangst“, sagt Seifert. Die Stadt reagiert: Um das Image aufzubessern, sollen die Bäume in der Straßenmitte gefällt, die Gehwege verbreitert werden. „Vergnügungsstätten mit sexuell ausgerichtetem Charakter“sollen sich künftig nicht mehr am Steindamm ansiedeln dürfen. Das Baurecht wird derzeit entsprechend geändert. Ziehen bestehende Etablissements aus, dürfen keine neuen nachrücken: „Die Frage ist doch: Wieviel Rotlicht verträgt eine Straße, bevor sie kippt.“

An dem Erfolg des Konzepts – weil bislang rein städtebaulich – bestehen Zweifel. „Die Drogenprostituierten sind, soweit ich weiß, nicht diejenigen, die in Bordellen arbeiten“, merkt der Drogenbeauftragte Horst Bossong spitz an. Aber den Gewerbetreibenden gehe es doch darum, die Beschaffungsprostitution von der Straße wegzukriegen. Seit Jahren versuchten Hamburgs Drogenhilfeeinrichtungen, die Frauen in Therapien und damit von der Straße zu bekommen. Bossong warnt vor zu hohen Erwartungen: „Das ist ein ganz mühseliges Geschäft.“Auch Peter Illies, Stadtplaner im Bezirk Mitte, fragt sich, „ob man nicht bloß eine Verdrängung in angrenzende Straßen riskiert“.

Nicht zuletzt deswegen stieß der „Runde Tisch“, an den die Wirtschaftsbehörde vor drei Wochen Polizei, Stadtteilvertreter und Drogenhilfeeinrichtungen lud, bei letzteren auf Skepsis: „Du kannst die Szene nicht säubern, so wie du Dreck unter den Teppich kehrst.“Veronica Munk ist erbost über die „Doppelmoral derjenigen, die die Prostitution nicht sehen, aber auch nicht drauf verzichten wollen“. Seit 1993 koordiniert Munk in Hamburg das europäische Drogenhilfe-Projekt „Tampep“, das sich speziell an Migrantinnen richtet.

Besonders übel stieß den Frauen die Forderung der Wirtschaftsbehörde auf, eine für das Gewerbe „stadtökonomisch verträgliche Koexistenz“mit der Straßenprostitution zu erreichen. Statt dessen, so Munk, müßten mehr niedrigschwellige Einrichtungen, Krisenwohnungen, Fixerräume her. Und eine Drogenpolitik, die den Abhängigen den Druck nimmt, sich prostituieren zu müssen.

Wie es weiter gehen soll, weiß niemand so genau. Folgegespräche in Hamburg? Ja, wahrscheinlich. Ein „drogenpolitisches Signal“aus Bonn? Nein, wahrscheinlich nicht.

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