piwik no script img

■ Die beiden großen Parteien wollen die Arbeitspflicht für Joblose verschärfen. Das entspricht den heimlichen Wünschen einer MehrheitWir alle sind Sozialbetrüger

Wer Sozialhilfe bekommt und weder alt, krank noch Mutter kleiner Kinder ist, der soll arbeiten. Im Zweifelsfalle in einem schlecht bezahlten „gemeinnützigen“ Job. Auch Arbeitslosenhilfeempfängern soll eine Tätigkeit zugewiesen werden. Dies fordern morgen auf einem Kongreß die Wirtschaftspolitiker der CDU/CSU-Fraktion. Das ist kein Einzelvorstoß: Die SPD-Wirtschaftsexperten Lafontaine und Schröder wollen das Recht und die Pflicht zur Arbeit für alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger gleichfalls festschreiben. Wer sich weigert, soll vom Staat kein Geld mehr bekommen.

Die großen Parteien können sich einer breiten Unterstützung sicher sein. Zu Modellprojekten wie in Leipzig, wo bereits jedem erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger ein Job zugewiesen wird, regt sich kein Widerstand bei den Grünen, der PDS oder der Bevölkerung. Keine Sozialleistung ohne sichtbare Gegenleistung: Das ist ein sozialstaatliches Prinzip, dem heute eine Mehrheit zustimmt. Eine Diskussion über „zumutbare Arbeit“ gibt es nicht mehr.

Die Sozialpolitiker verweisen auf Dänemark, wo Langzeitarbeitslose nach einer bestimmten Zeit die Pflicht haben, einen öffentlich geförderten Job anzunehmen, dessen Bezahlung nicht besser ist als die Arbeitslosenunterstützung. In Leipzig und Lübeck, wo alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger arbeiten müssen, ziehen viele Antragsteller daraufhin ihr Ansinnen zurück.

Die Forderung nach Arbeitspflicht für alle Langzeiterwerbslosen entspricht einem Trend im Sozialstaat. Längst haben viele Sozialbeitrags- und Steuerzahler schon das Gefühl, irgendwie doch zuviel einzuzahlen in die Solidargemeinschaft und zuwenig herauszubekommen. Der Ruf nach Arbeitspflicht für alle ist der politische Ausdruck des Mißtrauens nicht nur gegen die Gruppe ausgegrenzter Langzeitarbeitsloser, sondern des Mißtrauens aller gegen alle. Wir alle sind Sozialbetrüger. Früher war das auch gar nicht weiter schlimm.

Was heute als „Mißbrauch“ erscheint, war in bestimmten Milieus vor 10, 20 Jahren akzeptiert. Manches galt sogar als alternative Lebensform, die von der Gesellschaft mitfinanziert wurde und den Arbeitsmarkt entlastete. Wer mal ein paar Monate auf Kosten des Arbeitsamtes langzeiturlaubte, durfte damals noch guten Gewissens von Südostasien schwärmen. SozialarbeiterInnen, Handwerker nahmen Arbeitslosigkeitsperioden als persönliche Auszeit in Anspruch.

Heute noch leben beispielsweise viele Musiker, Maler, Schauspieler, Journalisten teilweise vom Arbeits- und Sozialamt und verdienen sich mit ihrer eigentlichen künstlerischen Tätigkeit „schwarz“ etwas dazu. Lebensphasen solcher „Mischkalkulation“ können stabilisierend wirken und eine Qualifikation erhalten, die in einem Fulltime-Hilfsjob längst verlorenginge.

Ein bißchen Geld vom Staat oder vom Arbeitsamt, plus ein bißchen Schwarzarbeit – eine solche persönliche Mischkalkulation will heute jedoch niemand mehr mitfinanzieren. Denn diese Mischformen entziehen sich der gesellschaftlichen Kontrolle und nähren damit das Mißtrauen, irgendwer könnte es auf Kosten der anderen besser haben.

Dieses Mißtrauen wächst in Zeiten, in denen die Kriterien für Mißbrauch und soziale Gerechtigkeit nicht klarer und allgemeinverbindlicher geworden sind, sondern mehr von der individuellen Situation abhängen denn je. Ist es Mißbrauch, wenn Langzeitarbeitslose eben nicht für acht Mark netto harte Erntearbeit leisten wollen, sondern sich lieber krank schreiben lassen? Ist es Mißbrauch, wenn sich Software-Unternehmer drei Scheinselbständige als Zuarbeiter halten, weil sie die hohen Sozialabgaben für fest Angestellte gar nicht zahlen könnten?

Legal ist es zwar kein Mißbrauch, wenn Hochverdiener sich Immobilien zulegen, um die Steuerlast zu drücken. Aber wie gerecht sind eigentlich die zunehmenden Einkommensunterschiede zwischen hochverdienenden Selbständigen, höheren Beamten und schlecht bezahlten Honorarkräften im akademischen Milieu? In einer deregulierten Erwerbsgesellschaft werden die Verdienstunterschiede zunehmen, die Gerechtigkeitsfrage wird damit komplexer.

Genau, werden jetzt die Verfechter obligatorischer Beschäftigungsprogramme sagen, da soll es wenigstens eine Art Mindestsicherung für Joblose geben. Mit der Pflicht zur Arbeit sei schließlich auch das Recht auf Arbeit verbunden: Jedem Langzeitarbeitslosen innerhalb einer Woche eine Stelle. Die Pflicht, diese Stelle auch anzunehmen, schränkt das Recht jedoch empfindlich ein: Eine Verpflichtung bedeutet, daß der Betroffene bei der Art der Arbeit und der Bezahlung gar nicht oder nur eingeschränkt selbst wählen kann. Eine vom Staat aufgezwungene Arbeit wird immer als minderwertig gelten in einer Marktgesellschaft, in der die Selbstverantwortung des Individuums als hoher Wert gilt.

Realistisch ist die Forderung ohnehin nicht. Finanziell würde es sich zwar rechnen, für die Transferzahlungen vom Arbeits- oder Sozialamt schlichtweg Arbeit als Gegenleistung zu verlangen. Ein flächendeckender öffentlich geförderter Billigstlohnsektor für die ein bis zwei Millionen Langzeitarbeitslosen wäre jedoch ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm, das die alten Probleme von ABM unweigerlich erneut aufwerfen würde – allen voran das Problem der Konkurrenz mit der Privatwirtschaft.

Interessant ist jedoch ein ideologischer Aspekt der Arbeitspflicht. Durch die Pflicht, einen schlecht bezahlten und eher unqualifizierten Job anzunehmen, wird Erwerbsarbeit wieder zu dem, was sie jahrhundertelang war: eine Mühsal, eine Last. Sie erscheint nicht mehr als höchstes Gut, das Lebenssinn stiftet, Anerkennung bringt und dem einzelnen einen Status in der Gemeinschaft verschafft. Wenn die bezahlte Arbeit solcherart erneut deklassiert wird, dann verliert die Nicht-Erwerbsarbeit ihre Schrecken. Auch wenn es zynisch klingt: Das kann heute, wo der bezahlte Job zum wichtigsten Statussymbol geworden ist, durchaus wünschenswert sein.

In Leipzig ziehen ein Drittel der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger ihre Anträge zurück, weil ihnen eine Tätigkeit aufgezwungen werden soll. Was das für Leute sind und welche sonstigen Einkünfte sie haben – keiner weiß es. Die Botschaft jedenfalls lautet: Wir wollen und brauchen eure Jobs nicht. So nicht. Und die Frage bleibt offen: Ist das jetzt gut oder schlecht? Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen