: Ströbele setzt sich gegen Fischer durch
Im Kampf um das einzige aussichtsreiche Direktmandat der Grünen gewinnt der Altlinke und Anwalt Ströbele knapp gegen die Abgeordnete und Sozialreformerin Andrea Fischer. Diese wahrt ihre Chancen auf einen Listenplatz ■ Aus Berlin Dieter Rulff
Als sich die 162 Grünen der beiden Berliner Stadtbezirke Kreuzberg und Schöneberg am Dienstag abend im ehrwürdigen Schöneberger Rathaus einfanden, um ihren Kandidaten für das einzige aussichtsreiche Direktmandat der Partei zu küren, war die Entscheidung eigentlich schon gefallen. Denn jeder, der den Saal betrat, fühlte sich wahlweise Christian Ströbele oder Andrea Fischer verbunden. Keiner trug einen solchen Zwiespalt in sich, der noch durch die Reden der Kandidaten hätte in die eine oder andere Richtung entschieden werden können.
Zu bekannt waren die beiden grünen Altaktivisten, zu klar die Vorlieben, die sich jeweils mit ihrer Kandidatur verbanden. Von einer Richtungswahl zwischen traditionell linken, die Ströbele zugeschrieben werden, und realpolitisch-reformerischen Ansätzen, für die Fischer stehe, war im Vorfeld gesprochen worden. Und so war – wenn überhaupt – das Überraschende am Ergebnis, daß die Partei keine dieser Richtungen eindeutig präferiert.
Knapp 83 zu 76 für Ströbele endete die Auseinandersetzung, hernach wurde gerätselt, was wohl den Ausschlag gegeben habe.
War es die leichte Überzahl der im Landesverband als Linke geltenden Kreuzberger, die eher Ströbele zugetan sind, wohingegen Fischer im arrivierteren Schöneberg beheimatet ist? Vielleicht. Mehr noch dürften die taktischen Überlegungen überzeugt haben, die einige Teilnehmer des Treffens zugunsten Ströbeles ins Feld führten. Da war zum einen der Umstand, daß er bereits bei der Bundestagswahl 1994 mit 28 Prozent ein Ergebnis erzielt hatte, das weit über dem der Grünen lag. Vor allem aber, so wurde mehrfach betont, könne Ströbele den linken Rand einbinden. Die PDS, die 1994 in Kreuzberg noch an die 5 Prozent einheimste, wolle gar zu seinen Gunsten auf einen eigenen Kandidaten verzichten.
Solche Wählerschaft, aber nicht nur die, fühlt sich allein angesprochen, wenn Ströbele verspricht, sich im Bundestag für die alternativen Projekte, für die Sozialarbeitergruppen, die im Bezirk ihren Sitz haben, einzusetzen, wenn er einer „Außenpolitik an der Seite der Befreiungsbewegungen“ das Wort redet. Im Einklang mit einem Großteil der Grünen steht er, wenn er meint, die Nato „muß ersetzt werden durch andere Sicherheitssysteme“ und die Wehrpflicht gehöre abgeschafft. So viel Treue zur Beschlußlage goutiert die Partei, die in dieser Hinsicht nicht immer von der Bundestagsfraktion verwöhnt wurde.
Nun hat sich Fischer zwar auch auf dem sensiblen Feld der Außen- und Verteidigungspolitik an die Parteivorgabe gehalten, doch hüllt sie am Dienstag abend ihren Zweifel an dieser Klarheit in außenpolitische Allgemeinformeln. Sie konzentriert sich lieber auf ihre Fachgebiete Sozial- und Rentenpolitik, dort wird ihr die Kompetenz von niemandem streitig gemacht. Von der anerkannten Expertin erhoffen sich manche Grüne einen Zugang zur sozialdemokratischen, ja sogar konservativen Klientel. In die Altenheime versprach sie zu gehen, um Wahlkampf zu machen. Da waren einigen im Rathaus Schöneberg die Alternativbetriebe doch vertrauter.
Während Ströbele mit freundlicher Stimme harsche Worte über die Bundesregierung formuliert, meldet Fischer in schneller, sich manchmal überschlagender Rede ihren Gestaltungsanspruch in einer rot-grünen Koalition an. Und während sich Ströbele durchaus auch ins Altenheim begeben würde, hadert Fischer eher mit dem politischen Selbstverständnis des linken Randes, statt ihm einfach nachzugeben.
Ströbele freut sich über seinen knappen Sieg, doch auch Fischer ist nicht unzufrieden. Der Zuspruch, den sie erhielt, hat ihre Chancen erhöht, einen der drei aussichtsreichen Listenplätze zu erringen. Um die muß sie mit ihrer Kollegin im Bundestag, Franziska Eichstätt-Bohlig, und der ehemaligen Sprecherin des Bundesvorstandes, Marianne Birthler, buhlen. Erstere gilt als ausgewiesene Bauexpertin, letztere als profilierte Ost-Politikerin. Deshalb hofft man auch in Bonn auf ihre Aufstellung. Gewinnt Ströbele das Direktmandat, wäre der dritte Listenplatz chancenlos, es sei denn, die Partei würde um die 14 Prozent erzielen.
Um das Mandat zu erringen, müßte der Anwalt allerdings mit Eckhardt Barthel einen sozialdemokratischen Konkurrenten schlagen, der wie er 68er und seit Jahren in der Immigrantenpolitik beheimatet ist und der, so das Ergebnis 1994, mit einem vierprozentigen Vorsprung ins Rennen geht.
Ströbele geht davon aus, „daß es mit dem Direktmandat klappt“. Doch will er sich auf einem Listenplatz absichern lassen. Entsprechend den Quotierungsregeln wäre dies der Platz zwei. Beim Kampf darum könnte er womöglich erneut auf Andrea Fischer treffen.
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