: Lockere Erdlochkonversationen
■ Peter Brook gastiert mit Becketts „Oh les beaux jours“im TiK
Und wieder vergeht ein glücklicher Tag. Winnie, eine Frau um die fünfzig, ist froh, daß Willie, ein Mann um die sechzig, mit ihr gesprochen hat. Und einmal, ganz zum Schluß, hat er sie sogar angesehen.
Diese kaum zu ertragende Tristesse bei alten Ehepaaren ist bekannt: Sie redet pausenlos, während er nur auf hartnäckiges Insistieren ein brummiges Lebenszeichen von sich gibt. Samuel Beckett ging selbst auf die sechzig zu, als er sein Stück Oh les beaux jours („Glückliche Tage“) 1961 schrieb. Doch natürlich bietet uns der Meister des Absurden mehr als ein realistisches Ehedrama. Beckett spitzt die alltägliche Kommunikationslosigkeit zu einer klaustrophobischen Parabel über die Verlassenheit des modernen Menschen und die Beschränktheit der äußeren Welt zu.
Peter Brooks Inszenierung, die bis Sonntag im TiK in der französischen Originalfassung gastiert, hält sich akribisch an die zahlreichen Regieanweisungen Becketts. Vom Bühnenbild bis zu den Kostümen, vom Gesichtsausdruck bis zu jeder Handbewegung bringt die Koproduktion vom ThéÛtre Vidy in Lausanne und den Ruhrfestspielen Recklinghausen alle Details werkgetreu auf die Bühne. Und das bekommt dem Stück bestens, weil es so in seiner Vieldeutigkeit belassen wird.
Winnie steckt bis zur Taille in einem Erdhügel fest. Kann oder will sie sich nicht befreien? Im zweiten Akt ist sie noch tiefer gesunken. Jetzt kann sie nicht einmal mehr in dem schwarzen Beutel herumkramen, der neben ihr im Gras liegt und Zahnbürste, Kamm und Lippenstift, aber auch eine Pistole beherbergt. Immer reduzierter wird ihr Zugang zur Welt. Sogar Willie gibt kein Lebenszeichen mehr von sich. Er scheint sein Zuhause, ein Erdloch hinter ihrem, verlassen zu haben – und damit sie.
Natasha Parry spielt Winnie als eine Frau, deren Handlungsmöglichkeiten zwar minimal sind, die aber lebhaft ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken vermag. Ob traurig, glücklich, kokett oder verzweifelt – alle Emotionen sind ohne Überzeichnung auf Parrys Gesicht abzulesen. Es bleibt genug Raum, damit die Widersprüchlichkeit ihres Daseins nicht zugekleistert wird. Denn anscheinend ist sie wirklich phasenweise glücklich mit diesem Stoffel Willie, der ihr im ersten Akt nur den Rücken zudreht und den sie später schmerzlich als Zuhörer vermißt. Und sie kann sich ehrlich für ihre beschränkte Umwelt interessieren. „Echte reine Barchborsten“, entziffert sie erstaunt den Aufdruck auf ihrer Zahnbürste. „Was sind Barchborsten, Willie?“Und, oh Wunder, er antwortet. Der Tag ist gerettet – ein glücklicher Tag. Karin Liebe
noch Samstag, 15 und 20 Uhr und Sonntag, 15 Uhr
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