: Hau ihn um!
Sportiver Ganzkörpereinsatz: Vom Dichten zum Schlagen ist es manchmal nicht weit. Im Prater wurde die Deutsche Literaturmeisterschaft im Boxring ausgetragen ■ Von Jörg Magenau
Raus aus den Literaturhäusern, rein in die Arenen. Zur Dichterbundesliga ist es noch weit, aber Bezirksliga könnte es gewesen sein, was da am Mittwoch abend im Prater in den Boxring stieg, um statt Fäusten Worte fliegen zu lassen. Thomas Kapielski war einer der elf Kandidaten der „3. Deutschen Literaturmeisterschaft“, und wenn er mehr als die vorgegebenen fünf Minuten Zeit gehabt hätte, hätte er die strukturelle Deckungsgleichheit von Lyrik und Boxen sicherlich erschöpfend ausgeführt.
So aber kam er nur bis zu den reimlosen Rechts-links-Kombinationen, dem Hang zum knappen, präzisen Zuschnitt von Vers und Schlag, der obligaten Publikumsbeschimpfung und dem Plädoyer, die Runden auf eine Minute zu verkürzen, weil länger doch sowieso niemand zuhöre. „Kapielski, gib deine Deckung auf“, brüllte einer aus dem Publikum, und der dröhnte zurück: „Dich mach' ich fertig, du Arschloch.“ Das reichte nicht für die Finalteilnahme. Auch Jan Off, der im Henry-Maske-Kapuzenmantel und begleitet von zwei fiesen, bebrillten Bodyguards auftrat, schied aus.
Ja, es war schön, und die Dichterlinge genossen ihren kleinen Boxeraufstand gegen den Literaturbetrieb. Endlich mal die Sau rauslassen und dabei noch nicht mal aus der Rolle fallen müssen. Endlich mal öffentlich Bier in sich reinschütten, statt bloß am Wasserglas auf dem Lesepult zu nippen, dann möglichst oft „Fotzenschiß“ und „Mösenschweiß“ sagen, und alle finden's lustig und rufen: „Ausziehn! Ausziehn!“ Für eine prinzipiell literarische Veranstaltung ist das enorm. Daß Dichter aber tatsächlich die brutaleren, hundsgemeineren Menschen sind als etwa ein durchschnittlicher Mike Tyson, und nur das Böseste im Menschen wecken, wollte man trotz peitschenschwingendem Moderator und tomatenwerfendem Publikum nicht ganz glauben.
Der Pressetext, den die Veranstalter (Volksbühne, Sklavenmarkt und Krash-Verlag) verschickt hatten, wies prophylaktisch darauf hin, daß das Ereignis durchaus einen guten Zweck verfolge. „Die deutsche Literaturmeisterschaft ist als Parodie auf die gängigen Literaturpreise zu verstehen wie auch auf sportliche Wettbewerbe. Sie ist gleichzeitig ein Versuch, Literatur näher ans Publikum zu bringen und eine ironische Übersteigerung der viel zu ernst gemeinten Poetry-Slams.“ Ganz ohne Sinnstiftung geht's halt auch unter professionellen Hassern nicht ab, und mit der Ironie hatten auch so einige ihre Probleme.
Jörg André „Social Beat“ Dahlmeyer beispielsweise brachte ein mit Verachtung angereichertes Pamphlet über „Dieda“ und „Dich“ zum Vortrag. „Dieda“ sind die Weltzerstörer, die „Dich“ mit ihren Konsumpfeilen treffen wollen, die „Gesetze machen, die töten“, die „Dir ihre Verachtung in den Arsch blasen“ usw, usf. Das war schrecklich ernst gemeint. So ernst, daß der Social-Beater trotz Ablauf der Fünfminutenfrist und Weckerklingeln gar nicht mehr enden wollte mit seiner Botschaft und die Moderatoren – der eine in quietschgelbem Trainingsanzug, der andere mit brav geknotetem Hertha-Schal – ihn gemeinsam überschreien und mit der Peitsche bedrohen mußten.
Weit oben auf der Richterskala der Peinlichkeiten auch Petra Schmidt, die es „voll Scheiße“ fand, sich hier als Quotenfrau zu fühlen. „Hausfrau! Hausfrau!“ schallte es ihr entgegen, und genau so klang ihr Keiner-weiß-was-in- dir-vorgeht- und Ich-bin-in-dir- Textlein auch. Keine Frage: Dichterboxen ist eine Herrenveranstaltung, quod erat demostrandum. Warum sollte es in der Literatur anders zugehen als beim Fußball?
Tapfer hielt sich der bewährte Trinker und Dichter Peter Wawerzinek. „Ich will, daß eine Frau gewinnt“, erklärte er. „Eine reicht mir!“ Er trällerte ein paar rudimentäre Liedzeilen und zog aus seiner Plastiktüte Fragmente, die irgendwie auch nicht paßten und die er deshalb mitten im Satz wegwarf. „Ihr wollt doch alle Lyrik schreiben“, winkte er ab. In dem Satz lag dann tatsächlich eine echte Portion Haß.
Die Jury, die wie ein Eiskunstlaufgericht mit Nummerntafeln A- und B-Noten verlieh, zeigte sich beeindruckt von dieser Verweigerungsdarbietung. Vielleicht waren die Juroren – u.a. Lothar Trolle, Jürgen Kuttner und eine Saalkandidatin mit Augenklappe („Halbblind, Frau und Ausländerin, wenn das nix is!“) – ja auch nur gekauft. „Berliner Mafia!“ rief einer aus dem Publikum, nachdem Gert „Andi“ Papenfuß, der Andi „Babyface“ Möller immer ähnlicher sieht, recht gelangweilt seinen zuverlässigen Textgenerator schnurren ließ und und dennoch pflichtschuldig Bestnoten erhielt. Den Rebellen-Prosaisten Harry Hass aber, der seinen Namen zu Recht trägt, den liebten alle und kürten ihn in der abschließenden, basisdemokratischen Volksabstimmung zum neuen Deutschen Meister, weil er so schön „Ich hau euch um!“ schreien und so finster dreinschauen kann. Er wußte von einer scheißenden Äffin zu berichten und von seinem eigenen, sich der Erde entgegenneigenden Arschloch. Das reicht zum Titel. Im Boxring funktioniert Literatur nach Reiz-Reaktionsmuster, und wer am lautesten „fuck you“ sagen kann, gewinnt. Manchmal ist das ein bißchen lustig, aber wer den drögen Literaturbetrieb aufmischen will, muß vor allem die besseren Texte bieten. Davon war im Prater wirklich nichts zu merken.
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