piwik no script img

Klitoris im Internet

Die Erste Cyberfeministische Internationale will „den Computer zu einem weiblicheren Ort machen“. Weltfrauschaft wäre nicht schlecht. Mehr Frauen an Multimedia-Arbeitsplätzen ist für die Aktivistinnen von VNS Matrix das Mindestgebot  ■ Von Tilman Baumgärtel

1992 tauchten an den Wänden von Sydney seltsame Plakate auf: „VNS Matrix – Terminatrixen des Moral-Codes, Söldnerinnen des Schleims“, war darauf zu lesen. Und: „Die Klitoris ist eine direkte Verbindung zur Matrix“ – ins Internet.

Was bei Passanten und Autofahrern damals vor allem Unverständnis ausgelöst haben dürfte, war das „Cyberfeministische Manifest für das 21. Jahrhundert“ von der australischen Künstlerinnengruppe VNS Matrix. Ihre Mitglieder Josephine Starrs, Julianne Pierce und Francesca da Rimini hatten damit einen Begriff in die Welt gesetzt, der bis heute im Internet ebenso kursiert wie in der wirklichen Welt: Cyberfeminismus.

Die sexuelle Metaphorik des Manifests gehört zu einem Spiel, das man durchaus weiterspinnen kann – oder sogar soll. Wenn die Klitoris eine direkte Verbindung zur Matrix, also zum Netz, ist, was ist dann der Penis? Julianne Pierce muß bei dieser Fangfrage lachen: „Das ist etwas, das man zu seinem Vergnügen benutzen kann und dann in eine Datei in seinem Computer steckt.“

Aus dieser Antwort kann man schon mal zwei Schlüsse über den Cyberfeminismus ziehen: Erstens haben Cyberfeministinnen einen Sinn für Humor. Und zweitens gibt es auf diesem Gebiet keineswegs eine reine Lehre. Für die britische Theoretikerin Sadie Plant gibt der Cyberfeminismus zwar „die theoretische Antwort auf die Tatsache, daß immer mehr Frauen Innovatives in Medienkunst und virtueller Technologie leisten“. Viele Cyberfeministinnen sind jedoch der Ansicht, daß dem Computer und dem Internet bestimmte, geschlechtsspezifische Strukturen eingeschrieben sind, daß diese Struikturen „männlich“ oder „phallisch“ sind.

Julianne Pierce ist anderer Meinung: „Ich glaube, daß Technologie ein Teil der Machtstrukturen ist, die vom Patriarchat entwickelt worden sind. Im heutigen Informationszeitalter können Frauen zum ersten Mal daran teilhaben, wie sich diese Industrie und deren Diskurs entwickelt. Frauen hatten zum Beispiel kaum Anteil an der Entstehung der Industriegesellschaft. Aber bei der Entstehung der Informationsgesellschaft können sie eine wichtige Rolle spielen.“

An das Internet als eine geschlechtsneutrale Kommunikationstechnologie glaubt sie trotzdem nicht: „Es ist Fakt, daß Männer die ganze Informationsindustrie kontrollieren. Bill Gates ist einer der mächtigsten Menschen auf der Welt, und auch sonst sind es vorwiegend Männer, die die Entwicklung dieser Industrie lenken. Es gibt nicht viele Frauen mit Machtpositionen, die Einfluß auf die Entstehung von Technologien haben.“

Als Künstlerinnen haben sie darum versucht, den Männermythos Computer weiblich zu unterwandern: Auf CD-ROM veröffentlichten VNS Matrix ein Computerspiel, bei dem die Heldin eine Frau ist – für die Computergames, bei denen sonst nur muskelbepackte Recken umeinander herumsprinten und aufeinander einschlagen, eine überraschende Innovation. „All New Gen“, wie der „S-Hero“ des Spiels heißt, kämpft gegen „Big Daddy Mainframe“, einen virtuellen Vertreter des Patriarchats.

Keinesfalls wollen sich VNS Matrix (VNS ist die technoide Abkürzung für Venus) allerdings auf die sogenannten Neuen Medien als einziges Betätigungsfeld beschränken. Pierce: „Wir arbeiten mit dem Internet und Multimedia, aber auch mit Fotokopien. Außerdem schreiben wir, um endlich einen cyberfeministischen Diskurs zu schaffen.“

Wenn man Pierce fragt, wie sie denn Cyberfeminismus für sich definiert, grinst sie: „Nun, es ist eine schnell wachsende Bewegung, die bald die Weltherrschaft übernehmen wird.“ Dann fährt sie allerdings sehr viel lebenspraktischer fort: „Es geht uns um Frauen, die Zugang zu den neuen Technologien haben und mit ihnen arbeiten. Als wir anfingen, war das ein wichtiges Thema. Es gab nicht viele Frauen, die mit Computern arbeiteten. Und ich will noch mehr Frauen in der Multimedia-Industrie sehen, die Kontrolle über Inhalte haben: was veröffentlicht wird, was ins Netz kommt.“

Was bei den Arbeiten von VNS Matrix allerdings als erstes auffällt, ist ihr offensiver Umgang mit Sexualität. Wer sich auf ihre Website begibt, findet sich in einem virtuellen Raum wieder, in dem jede sexuelle Ausschweifung erlaubt oder sogar gefordert ist. „Gefahr und Verlangen sind hier zu Hause und werden ihre Klauen in dein nicht länger unschuldiges Fleisch schlagen“, heißt es da – und das ist noch relativ jugendfrei. „Es gibt kein Zurück. Die Herrin aller verabscheuungswürdigen Vergnügungen zieht dich an sich und flüstert dir ihre unerreichbaren Versprechungen ins Ohr.“

Für Julianne Pierce ist der offensive Umgang mit Sexualität eine Methode, um den sterilen „Cyberspace“ mit Zeichen menschlichen Lebens zu füllen: „Wir versuchen, Sex und den Körper in die Sprache der Techno- Kultur zu bringen, weil der Computer und das Netz so neutrale Orte sind. Wir wollen den Computer zu einem weiblicheren Ort machen. Viele der Ausdrücke, die benutzt werden, um Frauen zu beleidigen, haben ja mit dem Körper zu tun – wenn man zum Beispiel eine Frau ,Fotze‘ nennt. Wir benutzen eine so obszöne Sprache, um den Spieß umzudrehen.“

Wer ihr im wirklichen Leben gegenübersteht, ist freilich überrascht. Statt einer lüsternen Domina sieht man eine recht normal wirkende junge Frau: „Die amerikanische Computerzeitschrift Wired hat uns für einen Artikel per E-Mail einige Fragen geschickt“, erzählt Pierce. „Eine lautete: ,Seid ihr radikale Lesben mit kahlgeschorenem Kopf?‘ Nein, sind wir nicht. Ich glaube, eine Menge Leute sind enttäuscht, wenn sie uns persönlich kennenlernen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen