piwik no script img

Südkoreas Gang nach Canossa

Asiens erfolgreichster Tiger steht vor dem Bittgang um Bürgschaften des IWF. Die Hoffnung auf Japan ist geschwunden. Aus Ostasien droht Gefahr für die Weltwirtschaft  ■ Von André Kunz

Tokio (taz) – Süd-Korea, Asiens weitaus erfolgreichste Tigerwirtschaft, steht vor dem finanziellen Abgrund. Rund 23 Milliarden Dollar kurzfristiger Kredite warten bis Ende dieses Jahres auf die Rückzahlung. Ohne ausländische Unterstützung kann die elftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt in den kommenden Wochen ihren Schuldendiensten nicht nachkommen.

Für die stolzen Südkoreaner ist es bitter, im nahen Ausland und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Bürgschaften zu betteln. So hat der neuernannte Finanzminister Lim Chang Yuel gestern erst so, dann anders entschieden: Mittags in Seoul gab er bekannt, die offizielle Bitte an den IWF noch mal um zwei Tage zu verschieben. Die südkoreanische Regierung hoffte auf eine regionale Lösung, in der Japan als Hauptkreditgeber auftreten sollte. Wenige Stunden später hatte der Finanzminister eingesehen, daß Japan den Südkoreanern nicht mit mehreren zehn Milliarden Dollar helfen kann. Denn auch im Land der aufgehenden Sonne ist die schwelende Bankenkrise in den letzten Wochen mit Großkonkursen von Banken und Wertpapierhäusern wieder virulent geworden.

Seouls Bedarf an ausländischen Geldern ist enorm. Kenneth Courtis, Chefökonom der Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Morgan Grenfell in Tokio hat ausgerechnet, daß Süd-Korea sofort 30 Milliarden Dollar benötigt. „Das ist nur die Vorspeise. Insgesamt braucht es mindestens 60 Milliarden“, sagt Courtis. Süd-Korea ist mit rund 122 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet. Bis vor einem Jahr war diese hohe Verschuldung unproblematisch, da die Wirtschaft mit zweistelligen Raten wuchs und die südkoreanischen Großkonzerne zu willkommenen Investoren in den aufstrebenden Märkten von Südostasien und Osteuropa geworden waren. Investiert haben sie meist in Industrien wie die Halbleiter- und Autoproduktion, die mit weltweiten Überkapazitäten zu kämpfen hatten.

Die Malaise begann Mitte 1996, als Süd-Korea einen Wachstumsdämpfer einsteckte. Grund: der globale Preissturz von Halbleiterchips, die zu einem der wichtigsten Exportprodukte des Landes geworden waren. Durch das folgende gebremste Wirtschaftswachstum brachen finanzschwache Konzerne zusammen. Allein in diesem Jahr haben acht der 30 größten Chaebols Konkurs angmeldet und umgerechnet 26 Milliarden Dollar faule Kredite bei den Gläubigerbanken hinterlassen. Damit wurde das gesamte Finanzsystem derart destabilisiert, daß ausländische Gläubiger sich aus dem Lande zurückgezogen haben.

Jetzt wird der IWF Reformen im Finanzsystem durchboxen müssen, die in Süd-Korea schon lange geplant, aber immer am Widerstand von verschiedensten Interessenlobbys gescheitert sind. „Wenn es auch schmerzlich ist für unseren Nationalstolz, wir brauchen den IWF“, sagt der koreanische Finanzexperte Lee Won Il.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen