: Polemik im Herrenmagazin
Eine „Spiegel“-Titelstory über „scheidungswillige Ehefrauen“ ist intern unter Beschuß geraten. Gegenartikel bei Frau in Auftrag gegeben ■ Aus Berlin Barbara Debus
Die Titelstory des Hamburger Nachrichtenmagazins Spiegel ist in dieser Woche wieder einem brisanten Trend in der Männergesellschaft auf der Spur: „Feministischer Muttermacht“ und „entsorgten Vätern“. Der langjährige Starreporter Matthias Matussek enthüllt auf zwölf Seiten, wie die moderne Frau aus der „Abbruchgeneration“ es darauf anlegt, einen Ehemann zu ergattern und ein gemeinsames Kind zu gebären, nicht um ein langfristiges privates Glück aufzubauen, sondern im Gegenteil: um baldmöglichst die Scheidung einzureichen, ihr Kind in eine „Wirtschaftsgeisel“ zu verwandeln und sich von den Alimenten des „entsorgten Vaters“ ein schönes, erwerbsarbeitsfreies Leben zu machen. Das geltende Scheidungsrecht sei eine „goldene Einladung zum massenhaften Mißbrauch“. Matusseks mitfühlendes Fazit: „Nun wird es höchste Zeit, die Väter zu schützen.“
So ganz wohl war der Chefredaktion bei Matusseks leidenschaftlicher Recherche mit einem Herz für Väter nicht, erstmals in der Geschichte des Spiegels bekam eine Titelstory den warnenden Hinweis „Polemik“ in die Unterzeile gedruckt. Schließlich machte sich der große alte Mann des Spiegels, Herausgeber und Immer- noch-Schürzenjäger Rudolf Augstein (74) stark für Matusseks Story.
Weniger angetan waren Matusseks KollegInnen bei der Blattkritik. Johann Grolle, Ressortchef „Wissenschaft und Technik“, monierte das dumpfe „Herrenmagazin“-Niveau. Die Redakteurinnen Angela Gatterburg und Marianne Wellershoff stellten Matusseks eigenartigen Umgang mit Zahlen und Fakten heraus. Im Vorfeld hatte sich schon die zuständige Dokumentarin empört, der Kollege Matussek habe entgegen ihrer ausdrücklichen Empfehlung „Statistiken verdreht verwendet“.
Matusseks Umgang mit Zahlen mutet in der Tat recht eigenwillig an. Um ein harmloses Beispiel zu nennen: Matussek nimmt die Zunahme von Einzelkindern als willkommenen Beleg für seine These von den scharf kalkulierenden „Abzockerinnen“: „Diese Mutterschaft ist genau dosiert. Und ein einziges Kind reicht, um die Freistellung von Erwerbstätigkeit auf Jahre hinaus zu erreichen. So steigt die Zahl der Einzelkinder stetig.“
Das Ressort „Wirtschaft und Gesellschaft“ beschloß, „den Artikel einer Frau dagegen zu setzen“. Bewußt wurde eine gestandene Kollegin, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, mit der Recherche beauftragt.
„Aus eigener Betroffenheit heraus“ hatte auch Reporter Matthias Matussek geschrieben, wie er offen gegenüber der taz bekundet: „Ich habe die Situation selbst durchlitten und weiß, wie es ist, wenn ein Vater sein Kind nicht mehr sehen darf.“ Matusseks Ehefrau hatte nach Konflikten das gemeinsame, in New York geborene Kind entgegen seinem Willen nach Berlin gebracht. Woraufhin er den Kleinen nach New York „in die eheliche Wohnung zurückführte“, wie sich seine Anwältin Ulrike Zechner ausdrückt. Die Ehefrau hatte sich schließlich hilfesuchend an die Chefredaktion des Spiegels gewand und damit gedroht, im Konkurrenzmagazin Focus auszupacken. Dieser Ehezwist ist im Hause Matussek längst kein Thema mehr, man hat sich wieder versöhnt. Im Spiegel-Flurfunk ist die damalige Ehe-Eskalation nicht vergessen. Im Gegenteil, es wird moniert, daß die Chefredaktion nicht die Souveränität besaß, in der Rubrik „Hausmitteilung“ diese erste Titelgeschichte, die als „Polemik“ daherkommt, mit Hinweisen auf den persönlichen Hintergrund des Schreibers anzukündigen und damit für die LeserInnen einzuordnen.
Wieviel Chancen wird die weibliche Gegenrecherche haben, ebenfalls aufs Titelblatt gehoben zu werden? Eine Insiderin: „Das hängt vor allem davon ab, wie sich Matusseks Titelstory verkauft.“
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