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Billig-Tricks machen AKW-Grufties fit

Länger flicken auf Kosten der Sicherheit: Das geplante neue Atom-Gesetz, so das Ergebnis einer Fachtagung, verlängert Bestandsschutz und Rentabilität von Atommeilern  ■ Von Achim Fischer

Alte AKW-Schätzchen wie Stade oder Brokdorf bekommen mit der geplanten Atomgesetz-Novelle eine lange Zukunft gesichert. Die Gesetzespläne der Bundesregierung bedeuteten „einen Bestandsschutz für Alt- und Uralt-Reaktoren“, fürchtet Gerhard Roller, Jura-Professor an der Fachhochschule Bingen. Nach dem Vorschlag der Bonner Koalition können AKW-Betreiber diverse Sicherheitsstandards mit Hinweis auf wirtschaftliche Gründe unterlaufen.

Seit einem Rechtsstreit zwischen dem rot-grün regierten Kiel und dem AKW-Betreiber Hamburgische Electricitäts-Werke (HEW) gilt eine klare Richtschnur in Sachen Reaktorsicherheit: Rüsten die Betreiber nach (“wesentliche Änderung“der Anlage), so müssen sie sich am „Stand von Wissenschaft und Technik“orientieren. Sprich: Sie müssen im Hinblick auf die Reaktorsicherheit das Beste einbauen, was es derzeit gibt. So entschied es das Berliner Bundesverwaltungsgericht im „Krümmel-Urteil“im August vorigen Jahres, sehr zur Freude der Kieler Landesregierung und sehr zum Leidwesen der bundesweiten AKW-Betreiber.

Diese Maxime – wenn schon Änderungen, dann nur vom Feinsten – will die Bundesregierung nun kippen. Geplante Nachrüstungen müssen sich nicht mehr am Stand von Wissenschaft und Technik messen, wenn der erforderliche Aufwand „unverhältnismäßig“ist. So steht es in der derzeit debattierten Novelle zum Atomgesetz. „Damit werden die Anforderungen in Änderungsgenehmigungsverfah-ren abgesenkt“, sagte Rechtsexperte Roller auf einem Workshop des Kieler Energieministeriums zum Thema Reaktorsicherheit am Donnerstag. „Für Altanlagen wird faktisch ein niedrigeres Sicherheitsniveau akzeptiert.“

Zum ersten Mal könnten AKW-Betreiber damit die Einhaltung technisch problemlos möglicher Sicherheitsstandards verweigern mit dem Hinweis, die entsprechende Maßnahme sei „unverhältnismäßig“– sprich: zu teuer. Ausstiegsorientierte Aufsichtsbehörden wie das Kieler rot-grüne Energieministerium müssen nun mit den Betreibern zu feilschen beginnen: Welcher Sicherheitsstandard muß sein? Und welcher ist zwar wünschenswert, aber für einen Stromkonzern zu teuer? Fazit des Juristen Roller: „Diese Änderung der rechtlichen Grundlagen ist zwar wesentlich, aber sie ist nicht wesentlich gut. Sie sollte besser unterbleiben.“

Die neue Regelung, da sind sich die Experten einig, würde die Betriebsdauer von „Alt- und Uralt-Anlagen“wie Stade oder Brunsbüttel verlängern. Denn alte Anlagen müssen zur Zeit häufig nachgerüstet werden, um die neuesten technischen Sicherheitsstandards einzuhalten. Diese millionenteuren Nachrüstungen machen die Anlage, wenn sie häufiger unter den Schraubenzieher kommt, bald unrentabel – so wie es sich auch nicht lohnt, ständig ein schrottreifes Auto zu reparieren.

Werden die Sicherheitsstandards allerdings gesenkt, müssen sich die Aufsichtsbehörden mit „suboptimalen“Nachrüstungen zufrieden geben. Mit billiger Bastelei blieben die Kosten auch für alte Atom-Schätzchen gering. Es lohnt sich ein paar Jahre länger, die alte Kiste zu flicken statt eine neue zu bauen.

Interessant ist die geplante Gesetzesänderung deshalb nicht nur aus sicherheitstechnischen, sondern auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Schon heute bezweifeln viele Experten, ob AKWs kostengünstiger als etwa moderne Gaskraftwerke wirtschaften. Ein Energieexperte des AKW-Betreibers PreussenElektra wollte auf der Tagung trotz mehrfacher Aufforderung keine Stromerzeugungskosten der Meiler nennen. Aber, so bestätigte er, neue Gas- und Dampfturbinen-Anlagen (GuD) seien zur schärfsten Konkurrenz für die Atommeiler geworden.

Der Hamburger Senat will demnächst eine Studie in Auftrag geben, um die Produktionskosten von Atom- und Gaskraftwerken zu vergleichen. Sollten die GuD-Anlagen besser abschneiden, wären die HEW laut Satzung zum Ausstieg gezwungen.

Mit der geplanten Atomgesetz-Novelle aber ändern sich die Rahmenbedingungen für diese Studie. Die HEW könnten ihre längst abgeschriebenen Grufti-Meiler Stade und Brunsbüttel noch lange mit gesenkten Sicherheitsstandards und entsprechend billigen Reparaturen gegen die Gaskonkurrenz verteidigen. Die Anlagen wären länger rentabel – und damit länger am Netz.

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