: Kirchensteuer abschaffen?
■ Debatte über Kirchensteuer und Kirchensteuermißbrauch soll Kirchen stärken
Der evangelische Kirchenjurist Robert Fischer malt ein Horrorszenarium an die Wand: Bis zu 400.000 Arbeitsplätze gingen alleine bei der evangelischen Kirche verloren, wenn die Kirchensteuer abgeschafft würde. Das Dilemma: weil der Kirchenzehnt immer noch nicht abgeschafft ist, gehen den Kirchen immer mehr Mitglieder verloren. Und wo keine Mitglieder, keine Kirche, keine Arbeitsplätze. In Berlin wurde gerade beschlossen, 600 Mitarbeiter loszuwerden.
Der „Bund gegen Kirchensteuermißbrauch“hatte nach Bremen eingeladen, um sich darüber zu streiten, ob die Kirchensteuer heute noch zeitgemäß ist. Und gestritten wurde heftig, trotz der biederen Stimmung, die die schmallippigen Evangelisten im Rathaussaal verbreiteten. Gekommen waren Kirchenleute aus ganz Deutschland, darunter Ex-Bundesfinanzminister Hans Apel (SPD) und der Bremer Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU).
Daß nach dem Treffen die Kirchensteuer abgeschafft wird, steht kaum zu befürchten. Denn die Abgabe, die bis zu 10 Prozent der Einkommensteuer betragen kann, brachte der evangelischen Kirche im Jahr 1994 satte 8,2 Milliarden Mark, bei den Katholiken waren es 8,5 Milliarden. Aber den Gürtel, den die Regierung immer enger schnallt, bekommen die Kirchen direkt am eigenen Säckel zu spüren – ist doch die Kirchensteuer die einzige Steuer, die man individuell durch Austritt auf Null senken kann. In Bremen sank die Zahl der evangelischen Kirchensteuer-Pflichtigen in 24 Monaten um fast 17.000, berichtete Finanzsenator Perschau – das waren 10 Prozent. Damit sanken auch die Einnahmen von damals 140 Millionen auf jetzt 114 Millionen. Ein herber Schlag.
Aber nicht nur wegen der Kirchensteuer gibt es die anhaltende Austrittswelle, glaubt der konservative Hans Apel: „Es gibt keine Basis-Orientierung mehr.“Die Kirche müsse sich verabschieden von dem intellektuellen Hochmut und solle nicht jeder „Modetendenz“, wie der Beschäftigung mit Homosexualität, mitmachen. Apel wünscht sich offenbar „Bodenpersonal“, das dem Volk stärker als in den letzten Jahren auf's Maul schaut. Geld dürfe nur mit eindeutigem Bezug zu Bibel und Bekenntnis ausgegeben werden. In der derzeitigen Entwicklung sieht er ein „Sterben auf Raten“.
Der Punching-Ball des Tages war immer wieder Kirchenjurist Robert Fischer. Nach Kräften verteidigte er seine Kirche und auch das wenig ausgeprägte Demokratieverständnis der Gremien. Allein, die Gegner waren in der Übermacht. Kirchenstaatsrechtlich sei die Evangelische Kirche in Deutschland eine „Großmacht“, mußte sich Fischer vom Heidelberger Kirchenhistoriker Gerhard Besier anhören. Doch aus geistlicher Hinsicht sitze sie im „Armenhaus“.
Daß es auch anders geht, ohne daß die Kirche auf ihren Speck verzichten muß, zeigt ein Blick in andere Länder. In Italien zum Beispiel gibt es – wenn auch begrenzt – die Möglichkeit, sich zu entscheiden, wer die Steuer bekommen soll. Logisch, daß gerade Institutionen, die nachweisen können, daß sie ihr Geld direkt für Hilfe und nicht für Bürokratie ausgeben, dabei gut abschneiden. In Deutschland werden 80 Prozent der Kirchensteuer-Einnahmen für Personalkosten verwendet.
Klar war den Veranstaltern und den Gastrednern wohl vor allem eines: Will die Kirche ihre Vormachtstellung halten, muß sie für die Masse wieder glaubwürdiger werden und sich der Kritik stellen. „In der Kirche“, so der Vorsitzende des Bundes gegen Kirchensteuermißbrauch, Pastor Jens Motschmann, gebe es ein „Diktatur der Mehrheit – aber eben keine Demokratie.“
Christoph Dowe
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