: Den Schwarzmarkt austrocknen
■ Aus Beutekunst mach Kriegsverlust: Kunsthalle veröffentlicht neuen Vermißten-Katalog
Auch auf den dritten Blick sieht man es dem 280seitigen, im schlichten Schwarz-weiß gehaltenen Katalog der Bremer Kunsthalle nicht an, daß er ebensogut als Drehbuch eines spannenden Thrillers dienen könnte. Die russische Mafia, das FBI, dubiose Zwischenhändler und ein kürzlich verstorbener Edelmann, zahlreiche Gerichte im In- und Ausland, ja selbst Helmut Kohl und Boris Jelzin sind involviert in die endlose Geschichte um die im 2. Weltkrieg aus dem Besitz der Kunsthalle entwendeten Kunstwerke, die der Katalog dokumentiert. Was in den vergangenen Jahren als Beutekunst-Debatte durch die Feuilletons aller Zeitungen geisterte, heißt nun aus Gründen der politischen Korrektheit Kriegsverluste-Diskussion. Und entsprechend heißt der Katalog, der nach 1991 in aktualisierter Form zum zweiten Mal erscheint, nun „A Catalogue of the Works of Art from the Collection of the Kunsthalle Bremen Lost during Evacuation in the Second World War“.
So richtig verloren gingen die 1.560 verzeichneten Objekte zum Ende des Weltkrieges eigentlich nicht. Als „Massenklau auf individueller Basis“bezeichnete Dr. Dr. Rudolf Blaum, Ehrenvorsitzender des Bremer Kunstvereins und seit Jahren mit der Suche nach den Bildern, Aquarellen und Grafiken beschäftigt, während einer Pressekonferenz die Vorgänge, in deren Folge die Kunsthalle der Dürers, Rembrandts und Rubens verlustig ging. Um die Schätze vor Bombenangriffen zu schützen, hatte die Kunsthalle 1943 ihre Bestände auf diverse Standorte verteilt, u.a. ins Schloß Karnzow in Kyritz/Brandenburg. Nach der Eroberung durch die Rote Armee plünderten Soldaten die dortigen Bestände.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Suche nach den Kunstwerken in Bewegung geraten. Mit Hilfe des amerikanischen FBI und durch Kontakte zur russischen Mafia, die Kunstwerke zum Kauf angeboten hatte, konnte Blaum u.a. in Rußland und New York einige Werke ausfindig machen. Dank der Zusammenarbeit mit dem zu Jahresbeginn verstorbenen Victor Baldin, der als Offizier der Roten Armee viele Drucke und Gemälde aus Karnzow vor den Plünderen gerettet hatte, konnte zudem der Standort von 364 Exponaten ermittelt werden. Sie befinden sich momentan in der Eremitage in St. Petersburg.
Blaum und Wulf Herzogenrath, Direktor der Kunsthalle Bremen, erhoffen sich durch die Verbreitung des Kataloges eine Austrocknung des Kunstschwarzmarktes. Der Katalog soll an Museen, Galerien und Auktionshäuser verschickt werden, damit der illegale Handel mit diesen Werken unmöglich wird. Blaum:„Die Russen sollen sehen, daß wir wissen, wo unsere Sachen sind und daß man mit gestohlenen Kunstwerken keine Geschäfte macht.“Zugleich hofft er, daß der Dialog auf höchster Regierungsebene über die Rückgabe von Kunstwerken neue Impulse erfährt. „Momentan fragt Herr Kohl immer, und Herr Jelzin sagt bloß, er könne nichts machen.“In der kommenden Woche sollen die seit Jahren ruhenden Verhandlungen in St. Petersburg wieder aufgenommen werden. „Ein Mini-Lichtblick“, wie Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath betonte. zott
Der Katalog der Kunsthalle Bremen kostet 28 Mark
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