■ Experten gegen Legendenbildung
: Jugendkriminalität steigt nicht

Lehrer und Eltern sind verunsichert und haben Angst um ihre Kinder. Ältere Menschen trauen sich nicht auf die Straße. Denn sie haben erschreckende Berichte über gewalttätige Jugendbanden in den Zeitungen gelesen. Und sie glauben Politikern, die sich als harte Durchgreifer profilieren wollen.

PraktikerInnen aus Polizei und Justiz zeichnen ein anderes Bild: Bei der „Sachverständigenanhörung zur Jugendkriminalität“der SPD-Fraktion gestern in der Bremer Bürgerschaft berichten die ExpertInnen von Tatsachen, die die Mär von der steigenden Jugendkriminalität als Legende entlarvt.

Die Oberstaatsanwältin Dr. Holle Eva Löhr aus Itzehoe sagte: „Deutschland ist objektiv das sicherste Land in Europa“. Das Problem sei ein anderes: „Es gibt aber eine Kluft zwischen der objektiven Sicherheitslage und der subjektiven Wahrnehmung“. Löhe nannte auch den Grund für diese Wahrnehmung: Die „politisch-publizistische Verstärkung der Frucht“. Im Klartext: Medien und Politiker bauschen kriminelle Jugendliche in unangemessener Weise zur Bedrohung auf.

Der Chef der Bremer Kriminalpolizei, Eckard Mordhorst, stellt diese Frucht besonders bei älteren Menschen fest. Er hält aber dieses Gefühl der Unsicherheit für nicht rational begründbar. „Das typischer Opfer von Gewalttaten ist 25 Jahre alt und männlich“, erläutert er. Schlimm seien vielmehr die Folgen der künstlich erzeugten Angst, nämlich die „soziale und kulturelle Verbarrikadierung dieser Menschen“. Die Experten räumen allerdings ein, daß die Täter heutzutage hemmungsloser vorgehen als früher. Sei früher nur die Geldbörse geraubt worden, gebe es heute oftmals auch noch Schläge für die Opfer.

Der Bremer Oberstaatsanwalt Dr. Peter Finke ruft jedoch zur Gelassenheit auf: „In den 20 Jahren, in denen ich tätig bin, hat sich die Situation nicht geändert“. Nach wie vor seien aber Bezahlung und öffentliches Ansehen der Jugendbeauftragten, LehrerInnen und JugendstaatsanwältInnen, die sich professionell um Jugendliche kümmerten, ziemlich niedrig.

Ein Polizeibeamter erzählte während der Anhörung von der Schwierigkeit, „die Angst der Menschen zu messen“. Dazu habe die Bremer Polizei in den letzten Tagen Fragebogen in Umlauf gebracht (vgl. taz vom 21.11.). Da war es mit der Harmonie in der Bürgerschaft vorbei: „Diese Aktion ist mehr als umstritten“, rief der justizpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Horst Isola. orc