: Modern in der Provinz
Die Kunstsammlung Gera präsentierte das Werk des Architekten und Designers Thilo Schoder als Entdeckung ■ Von Mathias Remmele
Die Architektur der klassischen Moderne in Deutschland hat ihre Hochburgen – wie etwa Berlin, Frankfurt a. M., Stuttgart oder Dessau –, und sie hat ihre im ganzen Land verstreuten, oft weniger beachteten Vorposten. Zu ihnen zählt, auch wenn es bisher kaum jemand wußte, das thüringische Gera. Wenn die mit Kulturdenkmalen nicht eben reichlich gesegnete Industriestadt eine ganze Reihe von erstklassigen Zeugnissen des Neuen Bauens besitzt, so verdankt sie dies fast ausschließlich dem Architekten Thilo Schoder, der hier von 1919 bis 1932 lebte. Seinen Arbeiten ist derzeit eine von der Kunstsammlung Gera konzipierte und in der dortigen Orangerie gezeigte Ausstellung gewidmet.
Daß Schoder heute als Entdeckung präsentiert werden muß, hat zwei wesentliche Ursachen. Erstens fanden seine bis auf wenige Ausnahmen im provinziellen Thüringen konzentrierten Bauten kaum je die überregionale Beachtung, die sie verdient hätten. Zweitens brach seine Tätigkeit in Deutschland 1932 mit seiner zunächst wirtschaftlich, später auch politisch motivierten Emigration relativ abrupt ab.
Beide Faktoren förderten das Vergessenwerden. Schoder ließ sich in Norwegen, dem Heimatland seiner zweiten Frau, nieder, wo er nach anfänglichen Schwierigkeiten weiterhin und mit einigem Erfolg als Architekt arbeitete und 1979 starb. Der norwegische Teil seines Werkes bleibt in Gera allerdings weitgehend ausgeklammert. Hier sind, so Ulrike Rüdiger, Direktorin der Kunstsammlung, die Kollegen in Norwegen gefordert.
Der 1888 geborene Schoder erhielt seine Ausbildung an der Weimarer Kunstgewerbeschule, die er 1911 als Meisterschüler Henry van de Veldes verließ. Nach einem Aufenthalt in Wien, wo er u.a. als Zeichner bei Josef Hoffmann arbeitete, trat er 1912, zurück in Weimar, als Assistent in das Büro seines ehrfürchtig bewunderten Lehrers und Vorbildes ein. Abgesehen von einem noch ganz im Stil und Geist van de Veldes entworfenen Landhaus für seine Schwester Marie Gutheil-Schoder, eine erfolgreiche Sopranistin an der Wiener Oper, widmete sich Schoder bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (an dem er nur im letzten Jahr als Soldat beteiligt war) vorwiegend kunstgewerblichen Arbeiten, bis hin zu Entwürfen für bibliophile Bucheinbände.
Den beruflichen Durchbruch verdankt Schoder einem 1919 in Gera realisierten Industriebau. Im Auftrag des Karosserie-Fabrikanten Golde errichtete er einen für Geraer Verhältnisse beispiellos modernen, von allem historischen Zierat befreiten Fabrikbau, in dem er, einem Ideal des Deutschen Werkbundes entsprechend, Kunst und Industrie zu einen versuchte. Schoders über rein sachliche Erwägungen hinausgehender Gestaltungswille fand in dem stark gegliederten, plastisch-organisch geformten Baukörper seinen entsprechenden Ausdruck. Unter den bis Mitte der zwanziger Jahre entstandenen Arbeiten Schoders ragt neben Innenraumgestaltungen (etwa dem Theaterrestaurant Gera) vor allem die 1923–25 im nordböhmischen Liberec (Reichenberg) erbaute Villa Stroß hervor. Mit diesem luxuriösen Anwesen, bei dem er neben der Architektur für die komplette Innenausstattung verantwortlich zeichnete, gelang ihm ein meisterhaftes, aber auch etwas protziges Gesamtkunstwerk im Stil des Art deco.
Ein zweiter großer Industriebau, die 1925–26 realisierte Erweiterung der Seidenweberei Schulenburg & Bessler in Gera, markierte einen Wendepunkt im Schaffen Schoders. Erstmals bediente er sich vom Flachdach bis zu den horizontalen Fensterbändern einer dezidiert modernen Formensprache. Heute noch beeindruckt das Fabrikgebäude durch seine dynamisch-expressive Monumentalität, die bereits die Zeitgenossen mit Mendelsohns berühmter Aufstockung des Mosse-Hauses in Berlin verglichen. Andererseits blieb Schoders Modernität hier im wesentlichen auf die Ästhetik beschränkt. Von der reinen Zweckform, nach der andere moderne Architekten der Zeit bereits strebten, ist sein Fabrikbau weit entfernt.
Bevor infolge der Weltwirtschaftskrise auch bei Thilo Schoder die Bauaufträge ausblieben, konnte er Ende der zwanziger Jahre neben einigen Privathäusern noch zwei vorbildliche Sozialbauten realisieren. Das Krankenhaus Zwenkau und die private Frauenklinik in Gera gehören in funktionaler und ästhetischer Hinsicht zu seinen reifsten Bauprojekten im Sinne des Neuen Bauens. Die erfolglose, von persönlichen Intrigen überschattete Bewerbung um den Direktorenposten der Staatlichen Hochschule für Handwerk und Baukunst in Weimar mag Schoders Entschluß zur Emigration schließlich begünstigt haben. In Deutschland sah er – nicht zu Unrecht – 1932 keine berufliche Perspektive mehr für sich.
Die Exponate der von Ulrike Rüdiger mit ebensoviel Engagement wie Sachverstand zusammengestellten Werkschau stammen größtenteils aus dem im Familienbesitz befindlichen Nachlaß Schoders und decken die gesamte Bandbreite seines Schaffens ab: Möbel, Textilien, Bucheinbände, Silberschmuck und gedrechselte Holzdosen dokumentieren den kunstgewerblichen, Fotos, Zeichnungen und Pläne den architektonischen Bereich.
Zu den Qualitäten der Geraer Ausstellung gehört, daß sie Schoder, bei aller Sympathie mit der sie seine Arbeit präsentiert, nicht überhöht. Zu einem Großmeister der Moderne fehlte ihm zwar die innovative Originalität und die überregionale Ausstrahlung, dafür stand seine Arbeit jedoch stets auf der Höhe der Zeit. Die Einflüsse reichten von van de Velde, Mendelsohn oder F.L. Wright bis zur tschechischen Moderne.
In der regionalen, thüringischen Architekturgeschichte schließlich müssen seine im provinziell-konservativen Umfeld realisierten Bauten „als herausragende Spitze“ angesehen werden, so der Architekturhistoriker Klaus-Jürgen Winkler in einem Beitrag für den hervorragenden Katalog zur Ausstellung.
„Thilo Schoder 1888–1979. Architektur & Design“, bis 30.11., Kunstsammlung Gera; anschließend, vom 8. bis 30. 1. 98, in der Bauhaus-Universität Weimar, ab 12. 2. 98 in der Akademie der Künste, Berlin.
Katalog, Glaux Verlag, Jena, 244 S. mit zahlr. Abb., 48 DM
Ulrike Rüdiger: „Thilo Schoder. Leben und Werk in Deutschland“. Glaux Verlag, Jena, 128 S., 68 DM
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