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Osterholz in Austin/Texas

■ Lars Gustafsson samt Hanser-Lektor Michael Krüger im KITO

Lokalem Bezug entkommt man nicht: In seinem Roman „Die dritte Rocharde des Bernard Foy“jagt Lars Gustafsson seinen jungen Rabbi im Zickzack durch Großstadtmoloch und Pampa; deren Inbild: Osterholz-Scharmbeck. Prompt wurde der schwedische Prosa-Großmeister bei seiner Stippvisite in Vegesack gefragt, woher er seine intimen Kenntnisse des Flachlands bezog. „Es gibt ein einfaches Geheimnis: die Malerei.“In der brütenden Hitze seines Arbeitszimmers an der University of Texas in Austin beamte er sich virtuell über den Atlantik mit ganz altmodischen Hilfsmitteln, zwei Landkarten, ein paar Landschaftsgemälden und Rilkes Beschreibungen von Worpswede. Vertrautheit ist nicht auf geographische Nähe angewiesen, eine Erfahrung, die auch Dick Olsson macht. Er liebt aus territorialer wie kultureller Distanz.

Dieser Held von Gustafssons neuen Roman „Geheimnisse zwischen Liebenden“findet seine Erd-orientierung nicht mit Malerei und Gemälden, sondern lebt als Werbegrafiker in den Parallelwelten von bites und e-mail. Natürlich benutzt Lars Gustafsson die neuesten Errungenschaften digitaler Technik zur Verbildlichung seiner alten (doch unüberholten) Lebensanschauung: der Mensch ist ein Puzzle aus fragmentarischen Erfahrungs- und Bildungsschnipseln, die der Zufall ins Hirn spült wie die ISDN-Leitung irgendwelche Nachrichten in den PC.

Innerhalb der erzählerischen Großstruktur vom erfolgreichen, doch kurz vor der Ausmusterung stehenden Businessman, der im goldenen Dreieck zwischen neuer Liebe, der e-mail-Nachricht vom plötzlichen Tod der Mutter und einem Beratungsauftrag für eine moldawische Teilrepublik um seinen Halt ringt, zwischen diesen satt-süffigen Handlungssträngen also blitzen viele Miniatur-Geschichten auf. Natürlich sind sie in Wahrheit die eigentlichen! In seiner geizig bemessenen Leseprobe von gerade mal 20 Minuten verzichtete Gustafsson denn auch auf Erläuterungen zum Handlungsrahmen, sondern zoomte ohne Umwege mit freundlichem Plauderton obskure Details heran: die Gefühle und Erinnerungen während des Tatvorgangs des Schuhebindens oder der Bildersturm der Fantasie während ein Duschstrahl – es ist ein dünner – auf die Glatze tröpfelt. Prompt wurde er im Anschluß gefragt, wo denn die Liebenden und deren Geheimnis blieben. Wäre Gustafsson Fotograf, er würde auf Panoramaüberblick mit großer Tiefenschärfe verzichten und sich ein Flickwerk aus hundert kleinen, überscharf focusierten Ausschnitten zusammenbasteln.

Und so fabuliert er aus seinem Schriftstelleralltag auch in anekdotischer Form, damals als ... jooh, da war er auf einem dieser unerheblichen Schriftstellerkongresse und tanzte mit einer schicken Dame finnischen Tango – der fällige Zuschauerlacher kommt zuverlässig – auch wenn's dann die Frau war von Hans Magnus Enzensberger. Der knüpfte Freundschaft, übersetzte Gustafssons Gedichte, verschacherte sie an Siegfried Unseld – leider nicht, dafür haben wir wieder so eine schöne Geschichte von einer Fehlentscheidung eines Großverlegers, und geordert wurde Gustafsson dann doch, allerdings von Reinhard Lettau für Hanser, halb aus Verlegenheit, halb aus Versehen. Solche Bescheidenheit kann sich ein in die Jahre gekommener Erfolgreicher wie Gustafsson jederzeit leisten, noch dazu, wenn ihm permanent – quasi habituell – der Schalk aus den Augen blitzt.

Dieser Schalk wirft denn auch ein anderes, freundlicheres Licht auf die systhematischen Zielverweigerungen von Gustafssons Handlungssträngen: nur ein offenes Ende ist ein happy end.

Egal ob Gustafsson über Goldfinken schreibt oder die Beengtheit beim Fliegen, das Konkrete mündet immer in Allgemeines: „Doch man kann sich leicht in Menschen täuschen.“

Auch Gustafssons Lektor, Michael Krüger, zeigte im KITO einen Sinn für Großdiagnosen. Als einstiger Mitherausgeber der Vierteljahresschrift „Kursbuch“frischem, flapsig-kritischen Denken verpflichtet, reiht er sich heute ein in die Front der Gegenwartsskeptiker und bedauert den Niedergang der Buchkultur – allerdings auf lustige Weise: Was würden heutige Germanisten tun, wenn es keine Bücher mehr gäbe? Keineswegs mehr kollektiven Selbstmord begehen, sondern ab in die Karibik in den Urlaub fahren. Solange es einen Gustafsson gibt, brauchen wir nicht in die Karibik, so wie der kein Osterholz-Scharmbeck live braucht. bk

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