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Mit dem Polizeiwagen ins Klassenzimmer

■ Kreuzberger Jugendstadträtin schickt Schulschwänzern die Polizei nach Hause: "Drastische, aber erfolgreiche Maßnahme". Vor allem Grundschüler und Flüchtlingskinder fehlen immer häufiger, weil sie zu

Wenn gutes Zureden und sogar Bußgelder nicht mehr helfen, dann greift die Kreuzberger Jugendstadträtin neuerdings zu einer drastischen Maßnahme: Notorische Schulschwänzer werden von PolizistInnen zu Hause abgeholt und in die Schule gebracht. Und das hat anscheinend Erfolg: Bereits dreimal in diesem Jahr wurde der Polizei„schutz“ angefordert, um Kinder in die Schule zu bringen. Auch andere Bezirke lassen hartnäckige Schwänzer teilweise der Schule „zuführen“.

„Ich bin selbst überrascht über den Erfolg“, meint die grüne Jugendstadträtin Hannelore May. Sie konstatiert, daß das Schulschwänzen in der vergangenen Zeit zugenommen habe – insbesondere von Grundschülern in SO 36. Mit Folgen: 12- bis 14jährige Schulschwänzer seien bei kleinen Einbrüchen, Raubdelikten und einmal sogar bei einer kleinen Messerstecherei von der Polizei erwischt worden.

Doch bevor die Polizei – in Zivil und ohne Blaulicht – an die Wohnungstür klopft und das Kind mitnimmt, muß eine ganze Menge passieren: Zuerst schickt die Schule eine „Schulversäumnisanzeige“ an das Bezirksamt, wenn die Kids durchschnittlich 30 Tage unentschuldigt im Schuljahr gefehlt haben. Danach sind Eltern und Schüler aufgefordert, mit dem Schulrat ein Gespräch zu führen. Verläuft das Gespräch negativ oder kommen Eltern und Schüler gar nicht, droht ein Bußgeld bis zu 2.000 Mark. „Das Geld einzutreiben, ist aber häufig sehr umständlich“, hat May erfahren. Ein Mittel sei dann die polizeiliche „Zuführung“. Für die müssen die Eltern übrigens 100 Mark zahlen.

In den beiden erfolgreichen Fällen seien die Kinder, die beide unter 10 Jahre alt waren, sogar „froh“ gewesen, als die Polizei kam, sagt May. „Sie wollten eigentlich gerne in die Schule gehen“, weiß May, die jeden Polizeieinsatz persönlich anordnen muß. In beiden Fällen seien die Familienverhältnisse sehr desolat gewesen, einer der Jungen mußte sich wegen der erkrankten Mutter um die jüngeren Geschwister kümmern. Im dritten Fall wurde das 16jährige Mädchen gar nicht zu Hause angetroffen, die Polizei mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Nach Angaben von May blieben insbesondere Grundschüler, in der Mehrzahl Jungen, aufgrund problematischer Elternhäuser tatsächlich mehr oder weniger gezwungenermaßen der Schule fern. Eine große Problemgruppe seien auch Kinder mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus aus Bosnien und anderen osteuropäischen Ländern.

Kreuzberg ist nicht der einzige Bezirk, der polizeiliche Schwänzer-Kommandos losschickt: Auch im Wedding wird diese Maßnahme vereinzelt praktiziert. In Neukölln, wo 1995 und 1996 nach Hohenschönhausen und Reinickendorf in dieser Sache die meisten Bußgeldverfahren gegen Eltern eingeleitet wurden (über 400), hält der Bezirk sich jedoch zurück: „Wir haben das seit mindestens zwei Jahren nicht gemacht und würden es jetzt auch nur in allerletzer Not tun“, sagt der grüne Bildungstadtrat Michael Wendt. In Prenzlauer Berg sind dagegen in den vergangenen Jahren nicht einmal Bußgeldbescheide verschickt worden. Julia Naumann

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