Wellness mit medizinischem Gütesiegel

■ Der Vorsitzende des Verbands Deutscher Kneippheilbäder, Dieter Lütke, zu den Auswirkungen der Gesundheitsreform und über Kneippkuren in Zeiten von von Wellness

taz: Anfang des Jahres wurde die Regelkurdauer von vier auf drei Wochen verkürzt. Eine Kur darf nun auch nur noch alle vier Jahre in Anspruch genommen werden. Wie hat sich das auf Ihren Kurbetrieb ausgewirkt?

Dieter Lütke: Einschneidend. Wir haben hier in Bad Laasphe drei Rehabilitations- und Anschlußheilbehandlungskliniken mit rund 600 Betten. Vergangenes Jahr waren sie noch zu 90 Prozent ausgelastet. Dieses Jahr sind es nur noch 50 Prozent. Weil wir einen großen Personalaufwand haben, darunter auch hochbezahlte Ärzte, können wir so nicht wirtschaftlich arbeiten. Rund ein Drittel der im Kurbetrieb Beschäftigten mußte schon gekündigt werden. Fachkräfte wie Ärzte und Schwestern sind davon nicht verschont worden, aber auch Küchen- und Reinigungspersonal mußte entlassen werden. Nach Schätzungen des Deutschen Heilbäderverbandes sind im Kurwesen dieses Jahr insgesamt 30.000 Arbeitsplätze verlorengegangen.

Die Sparverordnungen des Gesundheitsministers Seehofer (CSU) wurden auch damit begründet, daß die Kur zunehmend zu Urlaubszwecken mißbraucht wird.

Das ist ein gern erhobener Vorwurf, wenn es an sachlichen Argumenten fehlt. Richtig ist, daß Rehabilitationen und Kuren zugenommen haben und es daher einen Kostenanstieg gegeben hat. Mit Mißbrauch hat das aber nichts zu tun. Die Gründe liegen vielmehr in dem großen Nachholbedarf in den neuen Bundesländern und der demographischen Entwicklung: Es gibt immer mehr alte Menschen in Deutschland.

Was schlagen Sie als Vorsitzender des deutschen Kneippverbandes vor, um die Kurorte zu erhalten?

Wir müssen der Politik weiter die Widersinnigkeit dieser Maßnahmen aufzuzeigen. Es wurden auch Gespräche geführt von uns und dem Verband der Deutschen Heilbäder. Die Badeärzte trafen sich mit Herrn Seehofer. Man hat uns immer gesagt: „Sie haben nicht unrecht, aber wir müssen.“ Immerhin konnte verhindert werden, daß die ambulante Kurform abgeschafft wird. Wir müssen die Finger weiterhin in die Wunden legen.

Ist Struktur und Angebot der Kurorte nicht etwas veraltet?

Wir müssen natürlich auch versuchen, neue Angebote zu kreieren und eine neue Klientel zu erreichen. Das wird sicherlich in den Bereich „Beauty and Wellness“ gehen, ein Begriff, den ich eigentlich nicht so gerne höre – das heißt ja nur soviel wie Schönheit und Sich-wohl-Fühlen. Das Wohlfühlen ist sicherlich schon immer eine Domäne von Kneipp. Eins ist aber wichtig: Wir wollen unsere medizinische Qualität dabei nicht verleugnen.

Der „Wasserdoktor“ Sebastian Kneipp starb vor 100 Jahren. Seitdem ist die Konkurrenz für Kneipps Hydrotherapie gewachsen – zum einen durch die Schulmedizin, zum anderen durch ganzheitliche Therapierichtungen aus Fernost. Wie kann sich die Kneippkur in diesem breiten Spektrum behaupten?

Man kann Kneipps Lehre nicht auf die Wassertherapie reduzieren – das macht uns auch ein wenig Imageprobleme. Die Kneippkur ist nämlich nicht eine reine Wasserkur. Sie hat sich zu einer besonders zeitgemäßen ganzheitlichen Naturheilmethode umgewandelt. Sie ist schulmedizinisch längst anerkannt.

Einiges an der Kneipplehre wirkt etwas antiquiert. Kneipp verordnete etwa dem österreichischen Erzherzog Joseph zur körperlichen Belebung erst mal eine „Runde Holzhacken“ – das erinnert doch stark an das Ertüchtigungsideal eines Turnvater Jahn.

Die Kneipplehre ist von Ärzten in die heutige Zeit umgesetzt worden. Nichtsdestotrotz beruht sie immer noch auf den über hundert Jahre alten Prinzipien der Hydrotherapie – aber eben nicht allein: Denn dazu kommt die Bewegungstherapie – also die Übung der Körperkräfte, die Ernährungslehre –, die Behandlung mit naturgerechter Vollwertkost, die Pflanzenheilkunde – auf der Basis natürlicher Heilpflanzen – und nicht zuletzt die Ordnungstherapie – sie dient dazu, einen Lebensrhythmus mit größtmöglicher Harmonie von Leib und Seele zu finden. Methoden wie das Holzhacken bei der Bewegungstherapie sind natürlich wissenschaftlich verfeinert worden. Die Krankengymnastik gehört ebenso dazu wie ein einfacher Waldlauf.

In welchen Fällen ist eine Kneippkur angebracht?

Die Heilanzeigen sind im wesentlichen Herz- und Gefäßerkrankungen, die Nachbehehandlung von Herzinfarkten, was in heutiger Zeit sehr wichtig ist, dann Blutdruckauffälligkeiten, Venenerkrankungen, Zustände nach Thrombosen, aber auch der Bereich der vegetativ-nervalen Funktionsstörungen, einfacher gesagt: zuviel Streß zum Beispiel. Dabei kommt dann wieder ein klassischer Ansatz der Kneipplehre voll zum Tragen, die Ordnungstherapie, die den Mensch als Ganzen betrachtet. Interview: Ole Schulz