: Das Gefängnis der Erinnerung
■ „Nur ein Sack Kartoffeln“vom Karen Carpenter Fanclub im Haus Hafenklang
Verzweiflung ist der Zustand, in dem der Gedanke, daß die Zeit alle Wunden heilt, keine Gültigkeit hat. Darauf verstehen sich der Wunderheiler Francis Hardy, seine Frau Gracy und sein Manager Teddy. Sie haben ihre Zeit gehabt. Jetzt aber sitzen sie wie erstarrt, ohne Gegenwart und Zukunft, in einem Käfig der Erinnerung. Die drei bilden, auf Sesseln kauernd, die Eckpunkte einer Pyramide, deren Spitze ein von der Decke herabhängender Miniatur-Sessel bildet - Symbol des unverwirklichten Traumes bürgerlicher Gemütlichkeit.
Nacheinander berichten sie von ihren verflochtenen Lebensläufen. Die Ereignisse verwandeln sich mit den Erzählungen. Hat Francis wirklich Heilkräfte? Und war es Hardys Mutter, die bei seinem Besuch in Irland gestorben ist? Regisseur Götz Behnke inszeniert sein Stück Nur ein Sack Kartoffeln als eine psychologische Versuchsanordnung, in der die einzelnen Probanden unmöglich ihrer Isolation entfliehen können. Dabei treibt er die Darsteller in psychische Grenzsituationen. Harald Burmeister spielt Francis als einen fragilen Charakter, der zwischen Größenwahn und Depression pendelt. Wenn ihn die Erinnerung zu überwältigen droht, flüchtet er sich in alte Lieder. Auch sein Manager (Thomas Roth) muß wenigstens einmal am Tag „Wish You Were Here“grölen, um das Leben aushalten zu können. Ansonsten berauscht er sich mit Alkohol, während er mit der Geschwindigkeit eines durchgeknallten Paranoikers durch das Labyrinth seiner Erinnerung rast. Mit der Fluppe im Maul verfällt er allerdings kurzweilig in den Tonfall eines coolen Erzählers.
Anja Vesper als Gracy beginnt ihren Monolog auf dem Kopf stehend, als wolle sie der Geschichte einen anderen Blickwinkel geben. Ihre Aufopferungsbereitschaft wird ihr keineswegs gedankt. Auch sie findet keinen Ausweg aus ihrem Seelengefängnis.
Mit dieser Inszenierung hat das Carpenter-Ensemble eine neue Theaterspielstätte entdeckt. Im Haus Hafenklang sollte das Stück noch häufiger zur Aufführung kommen. Nicht zuletzt, um den Untertitel Perlen vor die Säue Lügen zu strafen. Joachim Dicks
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