: Mit der großen Flut kommt der Hunger
Wochenlanger Regen hat den fruchtbaren Süden Somalias völlig verwüstet. Hunderttausende Menschen fliehen vor den Fluten. Nun ist das durch Kämpfe der Warlords zerrissene Gebiet wieder von Hilfe abhängig ■ Aus Kismayo Ilona Eveleens
Einige Spitzen von Bananenbäumen ragen noch aus dem Wasser. Ansonsten sind die Plantagen, Äcker und Dörfer größtenteils verschwunden. Aus dem Juba- Fluß im Süden Somalias ist ein riesiger See geworden, der bei der Hafenstadt Kismayo seine Überfülle in den Indischen Ozean spuckt.
„Ich habe alles verloren“, erzählt eine hochschwangere Frau am Strand von Kismayo. „Mein Haus ist weggespült, und der Acker steht unter Wasser.“ Das Kind an ihrer Hand zeigt erste Spuren von Unterernährung. „Es gibt kein Essen, keine Medizin. Ich habe nicht genug Material und Kraft, um meine Hütte fertigzubauen. Wie soll ich mich und meine Kinder schützen vor dem Regen?“
Die Frau ist mit ihren Kindern 120 Kilometer aus ihrem Heimatdorf nach Kismayo gelaufen, die größte Stadt Südsomalias, und wohnt nun zusammen mit 55.000 anderen Flüchtlingen zwischen Dünen und Ozean, wo früher das „Waamo Tourist Hotel“ stand. Einige haben bereits angefangen, Hütten zu bauen: vier Äste im Boden, darauf zusammengebundenes Gras oder eine blaue UNHCR- Plastikplane.
Der Wasserstand in den Flutgebieten ist zwar mittlerweile um einige Zentimeter gesunken. „Damit ist aber die Notsituation nicht vorbei“, sagt Douglas Booth vom UN-Kinderhilfswerk Unicef in Kismayo. „Im Gegenteil: Es droht jetzt eine große Hungersnot. Der Süden von Somalia ist durch seinen fruchtbaren Boden die Kornkammer des Landes. Was angebaut wurde, ist jetzt verfault, und viel Vieh ist ertrunken. Erst in einem halben Jahr kann wieder geerntet werden.“
Aber es ist schwierig, in Somalia humanitäre Hilfe zu leisten, weil das Land seit 1991 keine zentrale Regierung mehr hat. Das Land ist aufgeteilt zwischen verschiedenen Klans, die sich immer wieder bekriegen. Seit Ende der gescheiterten UNO-Mission in Somalia 1995 gibt es nur lockere Vereinbarungen zwischen ausländischen Organisationen und lokalen Führern, Nothilfe nicht zu behindern. Die Klanältesten in den Flutgebieten haben zugesagt, daß bei eventuellen Konflikten zwischen Milizen die Hilfsorganisationen geschont werden.
Aber noch kurz vor der Flutkatastrophe fanden um Kismayo Kämpfe zwischen dem in der Stadt herrschenden Klan der Majerteen und den außerhalb dominierenden Ogadeni statt. Derzeit herrscht gespannte Ruhe. „In Kismayo herrscht ein wackliger Waffenstillstand“, sagt ein Sicherheitsbeamter der UNO. „Der Streit kann durch den geringsten Vorwand wieder aufflammen. Wir müssen ganz vorsichtig manövrieren.“
In der Praxis heißt das, daß der starke Mann von Kismayo, Mohamed Said Hersi – einer der mächtigsten Warlords in Somalia, Führer der Majerteen und bekannt unter dem Namen „General Morgan“ – bestimmt, wer die Flugzeuge mit Hilfsgütern auf dem Flughafen von Kismayo ausladen darf. General Morgan sitzt bei der Straßensperre auf dem einzigen Zufahrtsweg zum Flughafen unter einem Baum. Seine Füße stecken in Cowboystiefeln, auf dem Kopf hat er einen Stetson-Hut. Eine kleine Armee von schwerbewaffneten Männern wacht über ihn. „Das Ausladen von Hilfsgütern auf dem Flughafen ist durch uns gut organisiert“, sagt Morgan. „Wir haben alles unter Kontrolle. Das bedeutet aber nicht, daß das Ausland jetzt mit der Hilfe aufhören soll.“ Dann schweigt der lange Mann und streicht sich mit seinen langen Fingern durch den schwarzroten Bart. Die Audienz ist zu Ende.
Verteilt wird die Nothilfe in Kismayo so weit wie möglich durch örtliche Gruppen wie Frauenorganisationen, Klanälteste und Geistliche. Alle Entscheidungen werden möglichst von lokalen und internationalen Organisationen gemeinsam getroffen. „Ein kleines Wunder ist hier geschehen“, meint Sophia, eine somalische Sozialarbeiterin. „Gestern saß ich am Tisch mit den verschiedenen Milizen der Stadt. Vor einigen Wochen haben die sich noch gegenseitig umgebracht – gestern besprachen sie im selben Zimmer, wie sie ihren größten Feind, die Flutkatastrophe, gemeinsam bekämpfen können. So eine Einheit unter Somaliern habe ich in den letzten sechs Jahren nicht erlebt.“
Die bisherige internationale Hilfsaktion für die Flutopfer verläuft nicht ganz einwandfrei. Einerseits muß Menschen auf vom Wasser eingeschlossenen Gebieten geholfen werden. Andererseits entstehen in raschem Tempo überall neue Flüchtlingslager. Die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen in Kismayo wissen meistens nicht, wann welche Güter in welchen Mengen eingeflogen werden. Auch die Kommunikation zwischen den Unterorganisationen der UNO läßt zu wünschen übrig. Ein UNO-Pilot spottet: „Vereinte Nationen? Du meinst Vereinte Unorganisiertheit.“
Aber der somalische Flugverkehrsleiter, der im Tower am einzigen Tisch mit einem altertümlichen Radiogerät sitzt, freut sich über jedes neue Flugzeug. „Meteorologen sagen, daß es bestimmt noch zwei Wochen regnen wird. Und daß es nach den Überschwemmungen eine langanhaltende Dürre gibt. Als ob wir in Somalia nicht schon genug Schwierigkeiten hätten!“
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