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Die Welt ist scheiße

■ Im Schlachthof erinnert eine Fotodokumentation von Monika Daniel an die letzten Klofrauen und -männer Hamburgs

Der Kollege scheißt ihr in die Pinkelrinne. Manchmal auch direkt vor ihre Tür. Warum? Sie weiß es nicht. Probleme einer Hamburger Klofrau.

Ihr Name bleibt ein Geheimnis, aber das Foto sagt viel. Verloren der Blick, grau das gelockte Haar, das Doppelkinn ist bereits auf dem Weg jenseits des eisernen Bilderrahmens. Ein gezeichnetes Gesicht, voller trauriger und, so wünscht man, mancher freudigen Geschichte. Ein schöner Mensch.

Ella K. lacht. Die Augen, die Zähne, selbst der triste Kloraum im fäkalen Untergrund der Hansestadt: alles strahlt. Kokett blickt die 74jährige in den Spiegel, flirtet selbstverliebt mit ihrer ewigen faltenfreien Jugend, die sie, wie sie sagt, Satina verdankt. Eine Seife? Eine Creme? Eine geheime Gottheit? Was auch immer, auf jeden Fall hat das ewige Rauschen der Spülungen die frühere Erzieherin nicht zermürbt. Allmorgendlich steigt sie ins Taxi und läßt sich zur Arbeit chauffieren. Manchmal bestimmt das Bewußtsein doch das Sein. Selbst bei einem Stundenlohn von 7 Mark 30. Ohne Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Arbeitsvertrag.

Zwei unterschiedliche Menschen, beide Klofrauen in Hamburg. Ein Beruf, den der hundsgemeine Fortschritt wie Unrat wegspült. 80 Klofrauen und -männer gab es einst, vierzig sind geblieben. Noch, denn auch ihnen soll gekündigt werden zugunsten aufstellbarer Toiletten. Den verbliebenen vierzig immobilen Menschen hat die Hamburgerin Monika Daniel die Fotodokumentation „Das ewige Rauschen“gewidmet, die in der Galerie Im Turm im Schlachthof erstmals zu sehen ist.

Wozu eine Blasenschwäche nicht nützlich sein kann. Monika Daniel trieb sie in die allseits bekannten schummrigen Räume mit penetrantem Duft in der Luft. An deren Ausgängen, neben dem Teller mit dem Kleingeld, traf sie auf Männer und Frauen in weißen Kitteln, Feudeln in der Hand, Sorgen und Hoffnungen im Herz. Daniels Fotos leben nicht von ihrer ausgeklügelten Inszenierung, sondern vom Charme ihrer Modelle.

Moonboots, braun gemusterte Tapeten, Plastikdeckchen und Polyesterpullis in Grasgrün – wer sich schon immer gefragt hat, wo all diese Scheußlichkeiten der 70er Jahre wohl abgeblieben sind, findet im Schlachthofturm die Antwort. Die Aufenthaltsräume der KloarbeiterInnen Hamburgs sind voll davon. Liebevoll nennt man eine Einrichtung wohl, die viel preisgibt von ihren BewohnerInnen. No-Name-Kofferradios, aus denen garantiert ständig die Wildecker Herzbuben pupsen, naturbraune Kaffeefilter (Größe 102) des Melittamannes, Feriengrüße der Lieben, eine Packung Vaseline Intensive Care und zwei betagte Kochplatten – so ist die Welt: Trivial, scheiße, rührend.

Und die Menschen? Träumen, so wie jene oben in den Einkaufspassagen, vom befreiten Leben jenseits der Klobrillen und Alltagssorgen. Oder beschweren sich über ihre Kündigungen, ihre KollegInnen und die trostlosen Perspektiven nach dem ewigen Rauschen. Wer will es ihnen verdenken. Wer im Klohaus sitzt, darf ruhig mit Scheiße werfen. zott

Die Fotodokumentation „Das ewige Rauschen“ist bis zum 21. Dezember im Schlachthof (Galerie Im Turm) zu sehen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 16-20 Uhr, Sonntag 14-18 Uhr

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