piwik no script img

Die Streikposten bewachen das Hauptgebäude

■ Epizentrum des Protests nach Mitte verschoben: Humboldt-Uni in der Hand der Studierenden

Manchmal müssen Robbi und Julia schnell zur Seite springen. Ein älterer Herr mit Hornbrille, Kunstlederjacke und gesenktem Haupt geht auf sie zu und stößt sie beinahe von der Rampe, die auf den Hintereingang der Humboldt-Uni zuführt. „Manchmal kommt es auch vor“, berichtet Julia, „daß Leute gleich zuschlagen.“ Dann geben die beiden studentischen Streikposten nach, die das Hauptgebäude der Humboldt-Uni (HU) bewachen. Schließlich sind sie – wie sie selbst zugeben – „die nettesten Streikposten überhaupt“.

Eigentlich dürften die beiden nur dem Verwaltungspersonal Einlaß gewähren, und den Studenten, denen der ReferentInnenrat (RefRat) einen „Passierschein" ausgestellt hat, weil sie Wichtiges zu erledigen oder demnächst Prüfungen zu absolvieren haben. Den übrigen Studenten bleibt wie den Professoren der Zutritt verwehrt – um Lehrveranstaltungen zu verhindern, aber auch aus Sorge vor Sachbeschädigungen. Die Uni- Leitung hat dem RefRat die Schlüsselgewalt übertragen.

Ohnehin sind beide Seiten sehr nett zueinander. Anders als an Freien Universität (FU) und Technischen Universität (TU) verlegte der Akademische Senat seine jüngste Sitzung ins Audimax, um mit den Studierenden zu diskutieren. Eine Studentin entschuldigte sich, „daß ich vorhin reingebrüllt habe“. Sodann verteidigte sie sich „gegen den Vorwurf, daß wir zu freundlich streiken“.

Der Protest trägt Züge der universitären Selbstvergewisserung. Die Politiker, die nach Ansicht der Streikenden an allem schuld sind, bleiben seltsamerweise verschont. Als der Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses am Montag über den universitären Bücheretat debattierte, waren die Zuschauerbänke so leer wie selten. Bei der Kürzungsrunde vor vier Jahren waren die Studierenden noch ins Parlament geströmt.

An der TU ist die Basis des Protests ohnehin schmaler als an der HU. Auf einer Vollversammlung am Dienstag berieten wenige hundert Studierende, wie sie die „Konsumhaltung“ der Mehrheit aufbrechen könnten. „Die meisten sind hier Schüler“, klagte eine Studentin, „wenn ihr das den Leuten austreiben wollt, habt ihr echt 'ne schwierige Aufgabe.“ Auch die öffentliche Sitzung des FU-Konzils verlief nach eingeübtem Muster gegenseitiger Freundlichkeiten.

Einzig die HU-Studierenden haben von ihrer Uni wirklich Besitz ergriffen, nicht allein mit ihren Streikposten. Die Garderobe vom Audimax ist mit Matratzen und Schlafsäcken ausgelegt, im Streikcafé wird Glühwein ausgeschenkt, im Kinosaal läuft ein Film über die Protestaktionen. Auf dem Sockel des Alten Fritz vor der Uni steht Vater Staat als Stahlgerippe, in seiner Rechten hängt ein Student in den Seilen, in seiner Linken hält er eine Waage. Die Bücher in der Waagschale befindet sie für zu leicht und neigt sich zugunsten des Eurofighters. Er gilt den Studenten als Symbol dafür, daß der Staat den Geldmangel bloß vorschiebt.

Der Protest zeigt auch, wie sich die Uni-Landschaft verändert hat. Die FU verkümmert zusehends in ihrer südwestlichen Randlage; die TU zieht sich unter Sparzwang auf ihren technischen Kernbereich zurück. Die HU dagegen ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und hat die jüngste StudentInnenschaft. Anders als ihre desillusionierten älteren Kollegen sind die jüngeren Semester noch aufrichtig empört über die Zustände an den Unis, zumal die Kürzungen die HU wegen des Nachholbedarfs aus DDR-Zeiten besonders hart treffen. Deshalb wächst die HU nicht nur aus geographischen Gründen in ihre Rolle als neue Hauptstadt- Uni hinein – auf eine andere Weise freilich, als es sich die Eliteideologen vorgestellt hatten. Ralph Bollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen