„Mit Rot-Grün dem Morgentee entgegen“

■ „Konkret“-Herausgeber Hermann L. Gremliza über das Wahlprogramm der Grünen

Bündnis 90/Die Grünen hatten vorige Woche prominente Künstler, Wissenschaftler und Publizisten nach Bonn eingeladen, um mit ihnen die Präambel ihres Wahlprogramms zu diskutieren. Viele von ihnen, unter anderem Günter Grass und Jens Reich, kamen nicht. Hermann L. Gremliza , Herausgeber der linken Zeitschrift „konkret“, ließ sich die Chance nicht entgehen.

taz: Warum, glauben Sie, haben die Grünen Sie eingeladen? Immerhin haben Sie ihnen 1990 den baldigen Tod vorhergesagt. Nicht gerade die allerbeste Voraussetzung für ein entspanntes Gespräch.

Hermann L. Gremliza: Ich war, erstens, nicht zu einem entspannten Gespräch nach Bonn gefahren. Ich habe, zweitens, mit meiner Behauptung, die Grünen würden die Wende von 1989/90 nicht überleben, recht behalten: Frau Vollmers „Anti-Partei-Partei“, deren raison d'être Pazifismus, eine „basisdemokratisch“, „von Produzenten und Konsumenten gesteuerte“ Wirtschaftsordnung, die Beseitigung „der herrschenden privaten Eigentums- und Vermögensverhältnisse über die Produktionsmittel“, die „Entflechtung der Konzerne“, die Abschaltung der Atomkraftwerke und die Sabotage des Berufspolitikertums durch „Rotation“ der Mandatsträger gewesen ist, existiert heute nicht mehr. Warum, drittens, Jürgen Trittin gerade mich um eine Kritik der Präambel des grünen Wahlprogramms gebeten hat, müssen Sie ihn fragen.

Vielleicht wollten sich die Grünen selbst Mut machen. Ohne Gremliza, der regelmäßig den Abstand unserer Politik von 1968 oder auch von 1971 dokumentiert, müßten wir regelmäßig an unserer Weiterentwicklung zweifeln, hat Antje Vollmer einmal gesagt.

Sie hat es nicht „einmal gesagt“, sondern 1990 in die Festschrift zu meinem Fünfzigsten hineingeschrieben, deren Herausgeber sie leider dazu eingeladen hatten. Damals mag das gegolten haben. Inzwischen wird Frau Vollmer als Gastrednerin vom Bund der Vertriebenen eingeladen und kann ihre Weiterentwicklung daran ermessen, wie nahe sie der Sudetendeutschen Landsmannschaft schon gekommen ist. Denn die Verwandlung in eine Öko-FDP, als die man die derzeitigen Grünen verstehen kann, wird nicht die letzte Metamorphose dieses drolligen Vereins gewesen sein.

Wie finden Sie das Wahlprogramm der Grünen denn so?

Angemessen. Es paßt zu der Partei.

Kann man mit so einem Programm in Deutschland 1998 Regierungspartei werden?

Am Programm wird's nicht scheitern. Es enthält nichts, was einer der anderen Parteien eine Koalition mit den Grünen verböte, auch keinen Gedanken, der einem grünen Minister beim Herumregieren jemals in die Quere kommen könnte. Daß die Grünen 1998 dennoch nicht Regierungspartei werden, liegt einfach daran, daß Kohl beschlossen hat, noch eine Wahlperiode dranzuhängen, und des Kanzlers Beschlüsse halt doch ein anderes Gewicht haben als grüne Wahlprogramme.

Sie haben jetzt die Gelegenheit, die Grünen gründlich auseinanderzunehmen. Ich gebe Ihnen fünf Stichworte: Joschka Fischer.

Die kürzeste Verbindung vom Stadtindianer zum Standortcowboy.

Austritt aus der Nato.

Vor den Grünen treten die Amerikaner aus.

Benzinpreis fünf Mark.

Die Benzinsteuer wird immer nur so hoch sein, wie es Daimler- Benz der jeweiligen Bundesregierung erlaubt.

Verteidigung des rheinischen Kapitalismus.

Gegen den sächsischen? Dann bin ich dabei.

Rot-Grün.

Dem Morgentee entgegen! Ist das „gründlich auseinandergenommen“ genug?

Was müßte in Deutschland passieren, damit sich 1998 politisch etwas ändert?

Na ja, die Verdammten dieser Erde müßten aufwachen, reinen Tisch mit dem Bedränger machen, Krieg den Palästen, Friede den Platten usw. Die anderen Änderungen, die jetzt verlangt werden, zielen auf den Umbau des Sozialstaats zum Polizeistaat und den Ausbau des Standorts Deutschland zur Weltmacht. Alles, was da Reform genannt wird, bedeutet Kürzung oder Streichung von Leistungen und Rechten. Ein Stau dieser Reformen, ein Boykott all dessen, was Roman Herzog in seinen Reden verlangt, wäre das Beste, was diesem Land und seinen Nachbarn passieren könnte. Interview: Jens König