: Altklug durch die Adenauer-Ära
■ Wie neu: „Petzi baut ein Schiff“jetzt wieder in seiner Originalform beim Carlsen Verlag
Am Neubeginn der deutschen Comic-Geschichte nach dem letzten Krieg liegt ein Stück Treibgut: ein hölzernes Rad mit komischen Griffen, das der kleine Bär Petzi in seiner heimatlichen Schuttkuhle aufstöbert. Petzi erkennt augenblicklich, daß damit etwas gebastelt werden muß. Nur was? Gut, daß Petzi den klugen Pelikan Pelle kennt. Pelle weiß, wozu sich das Vehikel verwenden läßt: Es ist ein Steuerrad, man muß ein Schiff bauen. Unter Pelles Anleitung zimmern Petzi und seine Freunde, der dicke Pinguin Pingo und der Bär Seebär, einen schwarzroten Dampfer mit einem schönen großen Schornstein: die „Mary“.
So beginnt die Geschichte Petzi baut ein Schiff, 1951 von Carla und Vilhelm Hansen geschrieben und gezeichnet. Es ist das erste von insgesamt siebenunddreißig Petzi-Abenteuern, in denen die vier Freunde an Bord ihrer selbstgebastelten „Mary“meist auf große Entdeckungsfahrt gehen: vom Nordpol bis an den Äquator, vom Mount Everest bis ins geheimnisumwobene Doggerland. Erstaunliche, ja geradezu phantastische Geschichten – besonders was ihren Protagonisten betrifft. Denn für einen kleinen Bär in einer roten Strampelhose ist Petzi nicht nur überaus reiselustig. Er beweist auch größtes Geschick im Umgang mit modernem Gerät. In Petzi der Mechaniker etwa tröstet Petzi das traurige Känguruh Peter, indem er ihm sein halbfertiges Auto zu Ende baut: eine einfallsreiche Konstruktion aus einem ausgehöhlten Baumstamm und vier Reifen. Leider ohne Steuerrad, darum wird Peters Strohhaus schon bei der ersten Testfahrt abgedeckt und dann gänzlich zerstört. Doch warum noch wohnen, wenn man doch fahren kann? Für das geschwindigkeitsberauschte Beuteltier ist Obdachlosigkeit kein Grund zur Trauer.
Diese beiden Leitmotive durchwirken das gesamte Petzi-Werk: der Spaß an der Fortbewegung und die Zerstörung von Häusern. Schon in Petzi baut ein Schiff fällt die Hütte von Ferkelchen, einem als Fischer tätigen Schwein mit einer Seemannsmütze, dem Mastbau für die „Mary“zum Opfer. Doch Ferkelchen nimmt den Verlust mit Humor: Schiffbau, meint er, ist in jeder Form zu begrüßen, eine neue Wohnung findet sich leicht. Wird in Petzi also einem fröhlichen Nomadismus das Wort geredet? Zum Mittagessen sind auch die vier von der „Mary“jedenfalls gern wieder daheim; dann backt Petzis Mutter das unbestrittene Leibgericht aller seefahrenden Kleinlebewesen: Pfannkuchen mit Marmelade.
Wie das Ehepaar Hansen die Bilder der neuen Reiselust mit dem Lob des Heims und der redlichen Ernährung vermischte, traf den Zeitgeist der fünfziger Jahre: gerade in Deutschland. Erst wurden die Petzi-Geschichten als Zeitungsstrips veröffentlicht, unter anderem im Hamburger Abendblatt. Doch das begeisterte Publikum erschrieb sich in vielen Leserbriefen bald eine Buchausgabe. Eigens aus diesem Anlaß gründete der dänische Carlsen Verlag in Reinbek bei Hamburg eine Filiale. Hier erschien nicht nur das Gesamtwerk der Hansens, sondern auch das erste regelmäßige Comic-Programm in Deutschland überhaupt.
Aus Anlaß der neuen Petzi-Zeichentrickfilme in der Sendung mit der Maus hat der Carlsen Verlag Petzi baut ein Schiff nun noch einmal in Form der allerersten Ausgabe wiederveröffentlicht: ein sehr schönes Querformat mit kräftigem Einband. Zusammen mit dem zeitgleich vorgelegten Auswahlband Petzi und seine Freunde bekommt der geneigte Leser einen repräsentativen Ausschnitt aus dem Petzi-Kosmos geliefert: einen denkwürdigen Blick in die Adenauerzeit und einen Haufen Spaß mit altklugen Tieren. Jens Balzer
Carla und Vilhelm Hansen:
„Petzi baut ein Schiff“, 48 S.; 24.90 Mark, „Petzi und seine Freunde. Die schönsten Geschichten“, 94 S., 19.90 Mark, beide Carlsen Verlag, Hamburg 1997
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