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30.000 demonstrieren gegen Dummheit

■ Während die StudentInnen in Mitte gegen Bildungsabbau protestieren, lehnt es der Akademische Senat der Freien Universität ab, die Gunst der Stunde für Nachverhandlungen mit dem Land zu nutzen. Radunski

Als sich der Zug in Bewegung setzte, reichte er vom Brandenburger Tor bis zur Humboldt-Universität: Über 30.000 StudentInnen haben gestern gegen die Unterfinanzierung der Hochschulen demonstriert. „Bildung krepiert, weil Dummheit regiert“, stand auf dem Transparent an der Spitze des Zuges. Folgerichtig zogen die StudentInnen zu dem Ort, der ihnen als Inbegriff geistiger Unterbelichtung galt – zum Roten Rathaus. „Eberhard, komm raus“, skandierten sie dort.

Der Wissenschaftssenator, auf einem Transparent als „Dumm, dümmer, Radummski“ verspottet, zeigte sich den Studenten zwar auch nicht, erteilte ihnen aber eine Abfuhr per Radio. Auf Hundert,6 bekräftigte er, „daß keine neuen Mittel bereitgestellt werden“. Statt dessen hält er an seinen Plänen fest, langfristig Studiengebühren einzuführen.

Auf dem Bebelplatz hatten StudentInnen zu den Klängen von Mozarts Requiem die Bildung beerdigt. „Ihr Tod war schmerzhaft für alle von uns“, trauerten sie, „hier ruht unsere Zukunft“. Unter anderem ans Hotel Adlon und an Fahrkartenautomaten hatten sie von einem Copy-Shop gesponserte Zettel geklebt. „Ohne Studenten würde es das hier nicht geben“, stand darauf, „auch dieses Objekt wurde von ehemaligen Studenten entwickelt“. Am S-Bahnhof Unter den Linden, aus dem zu Beginn der Demo die Menschenmassen quollen, meinte ein Bauarbeiter: „Ick muß ja sagen, friedlich sin' se ja.“

Wenig beeindruckt zeigte sich dagegen der Akademische Senat der Freien Universität (FU). Die professorale Mehrheit lehnte gestern einen Antrag der studentischen VertreterInnen ab, die Entscheidung über den Stellenabbau vorerst zu vertagen und mit dem Land Nachverhandlungen über den Hochschulvertrag zu führen. Die FU ist damit die einzige der drei großen Universitäten, die den StudentInnenprotest nicht für Nachbesserungen ausnutzen will.

Gleich danach stellte FU-Präsident Johann Wilhelm Gerlach wieder den Strukturplan selbst zur Abstimmung, der vergangene Woche durch ein studentisches Gruppenveto vorläufig außer Kraft gesetzt worden war. Kaum waren die Hände der Professoren in die Höhe gegangen, drängten StudentInnen aus dem Zuschauerbereich über die Absperrung und verhinderten eine Fortführung der Sitzung. Die studentischen VertreterInnen sehen die Abstimmung als gescheitert an, weil Gerlach weder Nein-Stimmen und Enthaltungen gezählt noch das Ergebnis verkündet hat. Die Uni-Leitung dagegen meint, damit sei der Strukturplan beschlossen, der eine Halbierung der Professorenstellen vorsieht.

Die StudentInnen waren den Professoren in ihrem Antrag weit entgegengekommen und wollten den Strukturplan nur bis Ende Januar aussetzen. Gerlach habe den Hochschulvertrag einst unterschrieben, um nicht schlechter dazustehen als die anderen Unis auch. Aus diesem Grund müsse er auch jetzt seinen Kollegen von Technischer und Humboldt-Universität folgen und Nachverhandlungen führen.

Den Professoren war der hart erarbeitete Strukturplan offenbar zu teuer, als daß sie solche Argumente hören wollten. Statt dessen warfen sie den StudentInnen vor, zu spät zu protestieren, und attackierten den verhandlungsbereiten Humboldt-Präsidenten. Hans Meyer agiere „wie ein Fähnchen im Winde“, sagte der Pädagoge Gerd Hoff, „wir möchten nicht, daß sich unser Präsident so wischi- waschi verhält“. Auch Gerlach klagte, sein HU-Kollege habe „kein Rückgrat“. Von der studentischen Position unterscheide er sich „nicht in den Zielen, sondern in der Einschätzung der Realisierbarkeit“. Ralph Bollmann

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