: Futuristische Wohnlandschaften
■ Zwischen Fun-furniture und aufblasbaren Space-Möbeln – das Design der sechziger Jahre widersetzte sich dem Funktionalismus. taz-Serie „Wohnkonzepte in den Epochen“, Teil III
Am 12. April 1961 umrundete der sowjetische Fliegermajor Juri Gagarin als erster Mensch die Erde auf einer elliptischen Umlaufbahn. „Der Weltraum ist dunkel, sehr dunkel. Die Sterne sind hell und deutlich. (...) Die Erde selbst sieht aus wie ein herrlicher blauer Ball“, beschrieb Gagarin die Sichtung des Universums. Damit geriet eine Welt ins Blickfeld, die sich nicht nur an der Funktion der Dinge orientierte.
In den Wiederaufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg war keine Zeit für visionäre Lebensvorstellungen geblieben. In Deutschland spiegelte sich das auch in der bemüht lockeren, aber letztlich biederen Nierentisch- und Clubsessel- Kultur wider. Die sechziger Jahre boten da weitaus mehr Entfaltungsmöglichkeiten.
Vor allem italienische Designer wandten sich gegen das Primat der Funktion im Design und meinten es auch durchaus politisch, wenn sie sich diesem mit absurden Möbelentwürfen widersetzten. Ein mit gräßlich knirschenden Styroporkügelchen gefüllter Sack als Sitzmöbel erteilte jeder rational und utilitaristisch gestalteten Umwelt eine Absage.
Monströs aufgeblasene Plastiksessel und futuristische Wohnlandschaften in grellen Farben sollten dazu dienen, „in einer neuen Welt zu leben“, wie es der Italiener Joe Colombo formulierte. Das Wohnzimmer seines „Wohnmodells 69“ war eine flache Liegefläche aus Polsterelementen mit eingebauter Bar und darüber kreisendem Fernseher.
Neben der hedonistischen Variante gab es noch die unverblümt aufreizende Version spielerischen Wohnens. „Donna“ nannte sich das Möbel, in das man sich gleich einem ausladenden, weiblichen Schoß sinken lassen konnte.
Als künstlerische Arbeit entwarf Mario Merz igluförmige Gebilde aus Ton und Leuchtröhren oder einem Aluminiumgestänge, das mit Glasplatten belegt war. Ein winziges Spielzeugauto im Inneren ließ die Halbkugel als riesige Kugel erscheinen, wie sie in utopischen Architekturmodellen als Kapsel für die Atemluft über die Städte der Zukunft gespannt wurde.
Das futuristische Design hatte Erfolg. Verner Pantons Eistütenstuhl, in einem Stück aus Plastik gegossen, wurde zum Klassiker. Für die Bayer AG entwarf Paton Farbräume. Und der Spiegel Verlag leistete sich 1969 zum Einzug in sein neues Verlagsgebäude eine verwirrend bunt gemusterte Empfangshalle mit poppigem Lampendekor.
Dagegen hatte die Nachfolgerin des Bauhauses, die Ulmer Hochschule für Gestaltung, keine Chance. 1955 war sie als Stiftung gegründet worden, die sich in Anlehnung an das Bauhaus auf sozial relevante und für die industrielle Fertigung gedachte Produkte festlegte. Aber die Aufträge blieben aus, und innerhalb der Schule stritt man sich darüber, ob die Dinge durch reine Rationalität oder durch etwas anderes ihre optimale Form finden sollten. Die fand Luigi Colani im Ei, das seinen Autos, Kugelschreibern, Kugelküchen und all seinen anderen Schöpfungen Pate stand. Der publikumswirksame Design-Zampano nannte Mies van der Rohe und Le Corbusier „die größten aller kleinen Feinde“, was ihm mehr als fünfzig Jahre nach der Gründung des Bauhauses nicht mehr viele übelnahmen. Anja Karrasch
Literatur:
*„Spiegel Special, Das Jahrhundert des Designs“, Juni 1995
*Penny Sparke: „Italienisches Design. Von 1870 bis heute“, Westermann Verlag 1989
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