piwik no script img

Manchmal ist die Welt gelb

■ Entführung in eine chinesische Kindheit

Gelb leuchten die Zähne der Kamele in der Wintersonne. Die siebenjährige Yingzi schaut ihnen beim Kauen zu. Von weither haben die Kamele Kohle der Marke „Schwarze Jade“ nach Peking getragen. Leise klingen ihre Glocken. Die Melodie trägt die Schriftstellerin Lin Hayin in die Tage ihrer Kindheit zurück, in das Peking der zwanziger Jahre. Aus Taiwan ist die Familie in ein quirliges Altstadtviertel Pekings gezogen.

Yingzi ist ein neugieriges, empfindsames Mädchen. Sie lauscht, wenn sich Mutter und Amme unterhalten, und kriegt so schnell heraus, daß in der Nähe ein verrücktes Mädchen wohnt, mit dem niemand spricht, das niemand beachtet. Ihr Interesse ist geweckt. Sie ruht nicht, bis sie sich mit dem verrückten Mädchen angefreundet hat. Sie erkennt und versteht deren Not und versucht zu helfen. Doch die Erwachsenen lassen das nicht zu. Yingzi verzweifelt und bricht zusammen.

Immer wieder legt sie ihre Finger in die Wunden ihrer Umgebung. Durch eine geschickte Intrige verkuppelt sie die Freundin des Vaters an einen Studenten und hilft so ihrer schwangeren Mutter. Doch ihre Erfolgserlebnisse sind eher selten. Ihrer geliebten Amme kann sie nicht helfen. Die hat ihre Kinder verloren, weil sie sich um die Kinder anderer Leute kümmern mußte. Sie verläßt Yingzis Familie so traurig, wie sie kam.

Yingzis Furcht vor der Zeit, die nach der Kindheit kommt, wächst. Das ist nicht unbedingt chinesisch. Das ist das Urthema aller Kindheiten. Mit jedem Lebensjahr bekommt die glatte Welt der Ewachsenen einen Riß mehr. Manche kann man kitten, manche enden als Scherbenhaufen. Ein Prozeß, den jeder von uns schon durchgemacht hat. Die chinesische Kulisse gibt dem Buch eine warme, fremde Melodie. Wie ein warmer, baumwollgesteppter Mantel umgibt uns das chinesische Flair. Yingzi hüpft durch diese fremde Welt und kommt dabei so nah wie das Mädchen von nebenan. Das ist das eigentlich Verblüffende an diesem Buch. Gabi Trinkaus

Lin Hayin: „Die Geheimnisse der Yingzi“. Ab 13. C. Hanser Verlag, 29,80DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen