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Manchmal ist die Welt blau

Eine Reise um die Erde in 30 Büchern. Blau steht dabei für das Meer, Grün für den Regenwald, Weiß für die Pole, Schwarz für Afrika und Gelb für die Wüste  ■ Von Gabi Trinkaus

Die Erde ist ein blauer Planet. Wo spürt man das deutlicher als auf einer Insel? Die blaue Wölbung des Himmels berührt am Horizont die dünne blaue Haut des Meeres.

Wie ist es, aufzuwachsen in Hawaii, einem Land, von dem andere nur träumen? Der sechsjährige Sonny hätte für diese Frage nur ein Achselzucken übrig gehabt. Sonny hatte Angst vor dem Meer. Alle Kinder seines Alters konnten schwimmen. Auf einer Insel muß man genauso gut schwimmen können wie laufen. Doch Sonny wurde von panischer Angst gepackt, wenn er nur an das Meer dachte. Der Ozean war ihm viel zu tief. Er schien an ihm zu saugen und ihn in die Tiefe zu ziehen. Unten wartete der Gespensterreigen aus Haien, Stachelrochen und Moränen auf ihn. Doch sein Vater, ein Fischer, blieb hart. Sonny lernte zwar schwimmen, aber mit seiner Angst hatte er immer zu kämpfen. Warum das so war, bleibt fast bis zum Schluß des Buches ein Geheimnis. Sonnys Kindheit und Jugend waren jedenfalls lange nicht so paradiesisch, wie man es erwarten könnte. Seine Mutter, eine Französin, starb kurz nach seiner Geburt. Sonny wuchs mit seinem Cousin bei seiner unglaublich dicken und warmherzigen Tante Pearl und seinem Onkel auf. Erst als er schwimmen konnte, durfte er zu seinem Vater ziehen. Die beiden waren ein ziemlich stilles Paar. Die Familienbande sorgten für Lebendigkeit. Was wäre auch Hawaii ohne die dicke Tante? Die, da sie nicht ins Auto paßte, auf der Ladefläche thronte? So viel Majestät schützte sie allerdings nicht davor, an einer Fischwaage aufgehängt zu werden. Und das alles für eine Wette. Wer war schwerer, sie oder Alii, das Hausschwein?

So werden lustige Geschichten, aber auch nachdenkliche und bedrohliche wie Wellen an den Strand gespült. Das Gesetz des Stärkeren ist überall auf der Welt ein Problem. Weil Sonny Angst vor dem gewaltigen Meer hatte, blieb er auf dem Lande. So einfach ist das nicht, wenn man sich mit verfeindeten Jugendlichen auseinandersetzen muß.

Hawaii in der blauen Umarmung von Himmel und Meer hatte auch seine Schattenseiten. Und das sagt schon der Spruch am Anfang des Buches: „Wenn du keinen Frieden in dir selbst findest, hat es keinen Sinn, anderswo danach zu suchen.“

Graham Salisbury: „Die blaue Haut des Meeres“. Ab 14. Beltz & Gelberg, 29,80DM

Möwenkrieger

Bekannter noch als Hawaii sind die Osterinseln. Das verdanken sie den rätselhaften großen Statuen, die aufs Meer hinausschauen und schon Generationen von Forschern empfangen haben. Ihr Geheimnis konnte ihnen niemand entreißen. Warum also sollte nicht mal ein Schriftsteller eine passende Lösung erfinden? Es ist ihm so treffend gelungen, daß man bereit ist, es für nichts als die Wahrheit zu halten.

Irgendwie ist es logisch, daß ein Inselvolk den zum Häuptling wählt, der am geschicktesten mit dem Meer ringen kann. Jährlich findet eine Ruderregatta statt. Der Sieger wird Häuptling. Seit fünf Jahren gewinnt Tou-Ema, und Kontuac wird regelmäßig Zweiter. Nach dem Gewinn der sechsten Regatta will Tou-Ema die schöne Kintea-Ni heiraten. Doch der Bogen ist überspannt. Tou-Ema wird von einer Gruppe ewiger Verlierer überfallen und ins Meer geworfen. Er rettet sich auf eine Möweninsel. Kintea-Ni besingt ihn in ihren Liedern, so daß niemand während der langen Jahre der Kontuac-Herrschaft Tou-Ema vergißt. Tou- Ema, offensichtlich zum Herrschen geboren, wird der Leitvogel der Möwen. Er benutzt sie, um Rache zu nehmen. Sie besiegen Kontuac. Doch ihre Gewalt verselbständigt sich und verhindert, daß Tou-Ema endlich mit Kintea-Ni glücklich und zufrieden leben kann. Kintea-Ni gibt nicht auf, und schließlich hat sie die Idee, die das Dorf von den Möwen befreit. Und aufgrund dieser Idee wurden die Figuren geschaffen. Sehr logisch das Ganze, auch spannend und fremd wie die Figuren. Trotzdem ist es das alte Lied von Macht, Ohnmacht, Liebe und Verrat. Warum soll das auf den Osterinseln anders gesungen werden?

Roberto Piumini: „Motu-Iti, die Insel der Möwen“. Mit Vignetten von Mattei. Ab 11. Alibaba-Verlag, 24,80 DM

Verräterkind

Weniger weit entfernt von uns ist Sizilien. Vom blauen Meer eingerahmt, ist es das schönste Armenhaus Europas.

Hier lebte Pericle. Er liebte sein Sizilien. Als seine kleine Welt noch in Ordnung war, hütete er in den Ferien die Schafe auf den Weiden hoch über dem Meer. Die Sonnenaufgänge sind für immer in seinem Gedächtnis. Das hat er mitgenommen in die Fremde. Daß er niemals wieder nach Sizilien zurückkehren wird, kann er sich nicht vorstellen. Als er entführt wurde, war er außer sich vor Angst. Vor zwei Monaten verschwand sein Vater spurlos. Die Mafia hatte zugeschlagen. Nun schien er das nächste Opfer zu sein.

Doch das war ein Irrtum. Die Polizei hatte ihn entführt. Sein Vater war nicht tot. Er hatte, selbst Mafioso, gegen die Mafia ausgesagt. Nun mußte seine Familie versteckt werden. Das hört sich lange nicht so kompliziert an, wie es ist. Der ältere Bruder Pericles empfand den Verrat seines Vaters als große Entehrung und lehnte es ab, sich zu verstecken. Heimlich wurde er trotzdem von der Polizei überwacht.

Die anderen mußten mit ihren schwer bewaffneten Beschützern in fremden Städten leben, in fremde Schulen gehen. Alles Vertraute war für immer Vergangenheit. Keinen Schritt konnten Pericle, seine Mutter und seine kleine Schwester allein machen. Trotzdem kamen sie immer wieder in bedrohliche Situationen. Mußten Hals über Kopf alles stehen und liegen lassen und wieder fliehen. Schließlich brach auch die letzte Bastion ihres Vertrauens zusammen. Ihre gehaßten und geliebten Beschützer werden ausgewechselt, ein Schachzug der Mafia?

Ein spannendes, packendes Buch über Kinder, die plötzlich ihre Kindheit verlieren und sie gegen ein Leben voll Angst und Mißtrauen eintauschen müssen.

Werner Raith: „Verräterkind“. Ab 10. Elefanten Press, 26,90DM

Matteo und die Mafia

Etwas nördlich von Sizilien liegt Neapel. Das ist der Schauplatz des italienischen Bilderbuches „Der kleine Matteo“. Matteo geht gern zur Schule, Malen ist seine Leidenschaft. Nur darf er meistens nicht. Er muß seiner Mutter helfen, Geld zu verdienen. Er ist Drogenkurier, ohne es zu wissen und zu verstehen. Hier liegt schon ein Problem des Buches. Nur einige Kinder im Bilderbuchalter verstehen, daß mit Stoff nicht Stoff gemeint ist, sondern Drogen. Eines Tages gibt Matteo sein Päckchen einfach nicht ab. Die Flucht vor dem Dealer wird zu einem wirren Alptraummix aus Sex, Sekte, Sucht. Alle Süchtigen um ihn herum haben sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Wurzeln eines großen Baumes erdrücken zwei Kinder, ungehorsame Drogenkuriere, die selbst verdienen wollten. Der Baum als Metapher für die Drogenmafia ist sehr unglücklich gewählt. Er kann nur verdorren, wenn ihn niemand mehr düngt, sprich: Drogen kauft. Aber das versteht kein Kind. Vielleicht ist das auch der Fehler einer zu direkten Übersetzung. „Echt kraß“, urteilten zwei Zehnjährige über Matteos Leben. Stoff ist für sie eben Stoff, und Baumwurzeln, die Kinder essen, gibt es doch nicht. Oder soll das Ganze ein Gruselmärchen sein? Ein Buch, das verwirrt, erschreckt, schockiert. Ein Kind allein gegen seine Welt. Die großformatigen Bilder unterstreichen ausdrucksstark die Trostlosigkeit und Traurigkeit des Ganzen.

La Rana/Di Gennaro: „Matteo“. Ab 10. Alibaba-Verlag, 32DM

Überleben mit List

Bei so viel Elend kann man vergessen, daß auch Neapel am Meer liegt. Würde man dort in ein Schiff steigen Richtung Südwest, käme man nach Algerien. Hier lebt Melissa und würde schrecklich gerne zum Strand gehen. Aber seit die Fundamentalisten herrschen, ist Baden lebensgefährlich. Alles, was Spaß macht, ist verboten. Melissas Mutter kann sich unentwegt aufregen über diese Bärtigen, die heimlich die Filme gucken, die sie anderen verbieten. Über Lehrer, die Angst haben und den Befehlen der Bärtigen gehorchen. Die Mutter hat keine Angst. Sie und ihre Freundinnen tragen bunte Djilbab statt grauer. Sie schwärmen vom Algerienkrieg. Damals haben die Frauen mitgekämpft. Sie trugen keine Schleier. Der Gegner war französisch. Alles war einfacher als jetzt. Ein Bruderkrieg ohne Ende, eine Nacht, die schon zu lange dauert. Was soll aus den Kindern werden?

Doch Melissa versteht es, ihr kleines Leben zwischen Wohnung und Schule zu nutzen. Selbst heimliche Liebesbriefe sind möglich. Sie landen auf dem Balkon. Mit List läßt es sich leben. Und das ist wohl auch der Kern der sechs Geschichten. Zwischen Terror und Gewalttätigkeit leben Menschen, die sich nicht beherrschen lassen. Sie haben sich Nischen geschaffen, in die kein Mudjahid Einblick hat. Dieses Buch rückt das Algerienbild wieder etwas gerade. Es gibt ein Leben jenseits des Krieges.

Leila Sebbar: „Das verbotene Kleid“. Ab 14. Altberliner Verlag, 24,80DM

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