: Mit dem Brüsseler Beschluß, die Werbung für Zigaretten zu verbieten, gehen den Zeitschriften, Kinos und Plakatwandbetreibern Hunderte Millionen Mark Einnahmen verloren. Und für die Tabakbranche macht jedes Prozent Marktanteil satte 330 Mill
Mit dem Brüsseler Beschluß, die Werbung für Zigaretten zu verbieten, gehen den Zeitschriften, Kinos und Plakatwandbetreibern Hunderte Millionen Mark Einnahmen verloren.
Und für die Tabakbranche macht jedes Prozent Marktanteil satte 330 Millionen Mark aus
Wer wird denn gleich in die Luft gehen...
Vergänglichkeit ist das Wesen einer Zigarette. Drei, vier Minuten der Ruhe, dem Rauch nachsinnierend, wie er den Körper durchflutet und den Geist befreit. Seit 400 Jahren hängen Männer und Frauen in Europa an dem Hauptbestandteil der Zigarette, dem Tabak. Je nach politischer Richtung und geisteswissenschaftlichem Stand der Epoche wurde der Tabak entweder gepriesen oder verteufelt. Doch Schmähreden von den Kirchenkanzeln oder wissenschaftliche Analysen über den Zusammenhang von Rauchen und allerlei Krankheiten haben eins nicht vermocht: den Menschen das Rauchen abzugewöhnen.
Den jüngsten Versuch starten dennoch die Gesundheitsminister der Europäischen Union. Im medialen Zeitalter haben sie nun das letzte Glied in der Kette der Zigarettenindustrie – die Werbung – als verantwortlich für das Rauchen ausgemacht. Zigarettenherstellern soll spätestens ab dem 1. Oktober 2006 verboten werden, für Zigaretten und Tabak in den Staaten der EU zu werben. Neue Camel- Boots, Marlboro-Abenteuerreisen und Samson-Feuerzeuge werden dann auf den Index gesetzt sein. Weder auf Plakaten noch in Zeitschriften oder Kinos dürfen Cowboys noch reiten oder vorgetäuschte Orgasmen auf den qualmenden Genuß hinweisen.
„Das ist schade“, bemerkte gestern nüchtern Werner Knopf, Geschäftsführer der Hamburger Werbeagentur KNSK/BBDO. Als Art Director ist er seit 1988 für den Etat der Lucky-Strike-Werbung zuständig. Das Geld der BAT Cigarettenfabrik ist der größte Etat in der renommierten Agentur. Zwölf TexterInnen und GraphikerInnen denken täglich über die simpel erscheinenden Sprüche für Luckies nach, die für sich allein werben. Zehn Texterinnen haben sich in den vergangenen Jahren schon an der Kampagne abgearbeitet. Kommt das Werbeverbot, will Knopf dennoch niemanden entlassen. „Das sind alles verdiente und fähige Mitarbeiter“, sagt Knopf, der sich fragt, warum eigentlich nicht „häßliche Werbung lieber verboten wird“. Ob sie nun gut oder schlecht ist, Zeitungen und Zeitschriften gehen jährlich 150 Millionen Mark flöten, wenn sie keine Zigarettenwerbung mehr drucken dürfen. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft schätzt, daß Kinobesitzern und Plakatwandbetreibern weitere 360 Millionen Mark verlustig gehen. Und Sport- und Kulturveranstaltungen müßten mit einem Werbeverbot auf rund 150 Millionen Mark Einnahmen verzichten.
In die Milliarden ginge hingegen gleich ein nun von deutschen Werbetreibenden ebenfalls befürchtetes Verbot von Alkoholwerbung. 1,2 Milliarden Mark nehmen deutsche Medien mit der Propaganda für Schnaps und Bier ein.
Die Industrie wirbt für ihre Zigaretten zu gleichen Teilen in Zeitschriften, Kinos und auf Plakaten. Der Verband der Kinobetreiber sieht daher schon ein Kinosterben auf Deutschland zukommen. 1.000 Kinos müßten schließen, wenn das Verbot kommt. Denn schätzungsweise das Doppelte müßte eine Kinokarte kosten, wenn die Zigarettenindustrie nicht die Einnahmen der Kinos stützen würde.
Im Fernsehen oder Radio darf die Tabakindustrie schon seit 1974 nicht mehr werben. Auf Absatz oder Umsatz hat sich die zunächst als freiwillige Selbstverpflichtung eingeführte Beschränkung nicht ausgewirkt. Erstaunlich ist jedoch, daß weniger Jugendliche laut einer Untersuchung des Allensbach-Instituts rauchen. Haben 1974 noch 49 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren gequalmt, waren es 1995 in der selben Altersgruppe nur noch 25 Prozent. „Aber es gibt ja nie nur einen Grund, warum Menschen rauchen oder nicht“, sagt Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung in Bonn. Auch ihre Behörde hat festgestellt, daß weniger Jugendliche rauchen.
Das, so sagt Nicolai Thewes von Marktführer Philip Morris, ist positiv. Denn die Industrie möchte nicht als Kinderverführer dastehen. Sie ist erst auf Leute ab 23 scharf. Dann läßt der Druck der peer group nach. Am Anfang eines jahrelangen Raucherlebens greifen Menschen zu der Zigarette ihres sozialen Umfelds. Jungen fangen an zu rauchen, weil sie sich erwachsener fühlen, Mädchen, weil sie attraktiver und schlanker sein wollen, hat Pott herausgefunden. „Da greift kein Marketing“, sagt Thewes. Nach einigen Jahren jedoch suchen sich RaucherInnen ihre eigene Marke. Und dann müssen Kinospots und Kneipenaktionen den Geschmack treffen. Wenn die Hersteller dann nicht von ihrer Marke überzeugen können, haben sie wahrscheinlich für immer einen Kunden verloren. Die Zigarettenindustrie behauptet daher seit Jahren, daß sie Werbung nur betreibt, um Marktanteile zu sichern. Denn der deutsche Zigarettenmarkt wächst seit 1970 nicht mehr, lediglich die Marktanteile verteilen sich anders. „Wir wachsen nur, wenn wir den anderen etwas wegnehmen“, sagt Thewes von Philip Morris. Da ein Prozent Marktanteil jedoch allein 330 Millionen Mark in den Kassen der Industrie ausmachen oder eben auch nicht, würde ein Werbeverbot sie in den Eingeweiden treffen.
Krümmen müßte sich auch der Finanzminister. Der jetzige Waigel hat im vergangenen Jahr 24,3 Milliarden Mark durch Zigaretten verdient. Das sind 70 Prozent des gesamten Zigarettenumsatzes. Weniger geraucht wird mit einem Werbeverbot für Zigaretten übrigens noch lange nicht. In Norwegen, Island, Portugal oder Frankreich besteht seit Jahrzehnten ein Verbot, vor allem, um die staatlichen Monopole vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Doch der Konsum steigt. Ulrike Fokken
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