piwik no script img

■ Mit einer Wahrheitskommission wie in Südafrika hätte Deutschland mehr Erkenntnisse über die Vergangenheit gewonnen als mit ProzessenVersöhnung oder Recht?

Winnie Madikizela-Mandela ist ein harter Brocken. „Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß alle Zeugen gelogen haben?“ Die Mitglieder der Wahrheitskommission können es kaum fassen, aber die Exgattin des Präsidenten bleibt dabei: Alles Lüge!

Zehn Tage hat sich die Kommission für Wahrheit und Versöhnung in Südafrika mit der Frage befaßt, welchen Anteil Winnie Mandela am Tod mehrerer Jugendlicher, eines Arztes und anderer schwarzer Anti-Apartheid-Aktivisten Ende der 80er Jahre in Soweto gehabt hat. Zehn Tage, in denen man der Wahrheit kaum einen Schritt näher gekommen ist. Viel Aufwand also für eine überflüssige, teure Farce? Schädlich gar für das gesellschaftliche Klima, für die Demokratie in Südafrika?

Tatsächlich ist der Auftritt der früheren „Mutter der Nation“ für die Arbeit der Wahrheitskommission irreführend. Denn normalerweise wird diese tätig, wenn Leute zu ihr kommen, um eine Amnestie für politische Verbrechen während der Apartheid zu beantragen. Das hat Winnie Mandela nicht getan, weil sie immer behauptet hat, es gäbe in ihrem Fall nichts zu amnestieren. Statt dessen haben mehrere ihrer früheren Mitstreiter Amnestie beantragt und sie dann schwer belastet.

Wenn Winnie Mandela nach der Anhörung auch unbehelligt nach Hause gehen konnte, ist sie gegen Strafverfolgung doch nicht immun. Es steht der Staatsanwaltschaft frei, aufgrund der Aussagen vor der Wahrheitskommission erneut ein Ermittlungsverfahren gegen sie einzuleiten und gegebenenfalls Anklage zu erheben. Winnie Mandela ist nicht amnestiert worden, sie hat die Möglichkeiten der Wahrheitskommission ja ausgeschlagen und sich damit dem Risiko eines Strafverfahrens ausgesetzt.

Normalerweise ist es genau andersherum. Ehemalige Schergen des Apartheid-Staates, die Angst haben, angeklagt zu werden, gehen zur Wahrheitskommission, um so einer Verurteilung zuvorzukommen. Ursprünglich war die Wahrheits- und Versöhnungskommission ein Zugeständnis des ANC an die De-Klerk-Regierung, mit der die Buren verhindern wollten, daß ihre Leute nach dem Machtwechsel zur Rechenschaft gezogen werden. Viele Weiße, einschließlich der letzten weißen Regierung, lehnen die Wahrheitskommission aber heute ab, weil sie ihnen unter der Leitung von Bischof Tutu zu ANC-freundlich besetzt ist.

Trotz des Spannungsfeldes, in dem die Kommission zeit ihres Bestehens arbeiten mußte, hat sie sich im nachhinein als Glücksfall für Südafrika herausgestellt. Hätte es in Deutschland eine vergleichbare Instanz gegeben, wäre die Ost-Ost- Versöhnung wie die zwischen Ost und West heute sicher weiter.

In Deutschland wie in Südafrika ist man davon ausgegangen, daß die Wahrheit die notwendige Voraussetzung für Versöhnung ist. Auf den ersten Blick wurde in der neuen Bundesrepublik diese Erkenntnis weit radikaler umgesetzt als in Südafrika. Die Akten der Geheimpolizei der früheren DDR wurden gegenüber den Opfern der Staatssicherheit geöffnet. Das ist in Südafrika nicht der Fall. Darüber hinaus gab es in Deutschland ungleich mehr Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen während der Diktatur der SED als in Südafrika gegen die Anstifter und Handlanger der Apartheid-Verbrechen. Trotzdem wissen die Südafrikaner mehr über ihre jüngste Vergangenheit als die Deutschen. Das ist das Verdienst der Kommission für Wahrheit und Versöhnung.

Neben der Aufklärung auch spektakulärer Fälle wie des Mordes an Steve Biko hat die Kommission das gemacht, was hier zwar immer gefordert, aber nie realisiert wurde: Es wurden die Strukturen der Unterdrückung herausgearbeitet. Im September 97 hat die Kommission beispielsweise eine Woche lang untersucht, warum und wie die Medien des Landes sich so bereitwillig durch das Apartheid-Regime haben instrumentalisieren lassen. Sie ging den Fragen nach: Wie funktionierte die Beeinflussung? Gab es keine Freiräume, und warum wurden sie, wenn doch vorhanden, nicht genutzt? Warum konnten sich trotz der Repression einzelne Dissidentenblätter immer wieder etablieren? Das waren aufschlußreiche Tage für die südafrikanischen Medien, die breit über die Hearings berichteten und sich so ihrer Verantwortung für die Vergangenheit stellten.

In Deutschland wurden satt dessen Prozesse geführt. Der Hoffnung, so der historischen Wahrheit näher zu kommen, wurden sie nicht gerecht. Weder die Prozesse gegen Mielke und Honecker noch der Politbüroprozeß waren besonders aufschlußreich. Kein Wunder – Angeklagte sind in aller Regel bemüht, ihren Anteil am Verbrechen zu verschleiern, statt die historischen Umstände der Verbrechen möglichst wahrheitsgemäß aufzuklären. In Deutschland sind die beiden Institutionen der Aufklärung der Gerichtssaal und die Gauck-Behörde. Das Lesen der eigenen Akte ist ein privater, nichtöffentlicher Akt, dessen Ergebnisse deshalb auch nur in Ausnahmefällen zu einer öffentlichen Debatte geführt haben. Vor Gericht wird gelogen. Das Forum der öffentlichen Auseinandersetzung, ein Forum, in dem die Mitteilung der Wahrheit nicht bestraft wird, gibt es nicht.

Die Rolle, die in Südafrika die Wahrheitskommission innehat, wird in Deutschland mehr schlecht als recht von den Medien übernommen. Tatsächlich haben die Medien in Deutschland eine Menge aufgeklärt. Zur Versöhnung haben sie aber kaum beigetragen. Das hat zwei Gründe: Zum einen sind Zeitungen keine pädagogischen Veranstaltungen, zum anderen gibt es in der deutschen Medienlandschaft ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Ost und West. In aller Regel wurde in Westmedien über Ostverfehlungen verhandelt. Das diente entgegen der Intention letztlich weniger der Aufklärung als vielmehr der Entwicklung eines Abwehrreflexes auf breiter Front im Osten der Republik.

Natürlich macht es keinen Sinn mehr, in Deutschland eine der südafrikanischen Wahrheitskommission vergleichbare Institution zu etablieren. Um so wichtiger wäre es deshalb, intensiver über die versäumten Möglichkeiten in der deutschen Publizistik zu reden. Die Medien sind als Institution vorhanden und nach wie vor das einzige Forum in dem ein Ost-Ost-, aber auch ein Ost-West-Dialog stattfinden kann. Vielleicht sind acht Jahre nach dem Mauerfall, wo Stasi-Enthüllungen nur mehr Langeweile auslösen, jetzt doch andere Formen der Vergangenheitsbearbeitung möglich. Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen