Ein Lehrfrühstück mit Keksen, aber keine Barrikaden

■ Kurzes Protokoll eines langen Streiktags an der Bremer Uni: StudentInnen bangen um Verständnis und Öffentlichkeit

An der Bremer Uni herrschte gestern – am ersten Streiktag – Hochbetrieb. Während der bis dahin streiklahme Mathematik-Informatik-Fachbereich in letzter Minute zustimmt, sich an den Streiks zu beteiligen, finden in den übrigen Fachbereichen bereits die ersten Versammlungen statt. Zum „Lehrfrühstück“im Studiengang Geschichte gibts Brötchen, Kaffee und Kekse. Hier sind sogar ProfessorInnen aufgetaucht, um mitzudiskutieren. Ihre Beiträge lösen allerdings gemischte Gefühle aus. Als Professor Hans Kloft den Studierenden vorschlägt, „bessere Personal- und Sachausstattung“ganz oben auf dem Forderungskatalog zu notieren, schütteln viele die Köpfe. Den meisten der Studenten im eng besetzten Raum reicht das nicht. Sie fordern die jüngst vom Bremer Oberverwaltungsgericht gekippte Freiheit zur allgemeinpolitischen Meinungsäußerung zurück. Allein auf die Hochschulpolitik wollen sie sich nicht beschränken lassen – zu Recht wie auch Lehrende meinen. Die Kompromißformel des Vormittags lautet: „Es gibt eine Menge zu tun im Haus.“

Damit haben die StudentInnen des Studiengangs Behindertenpädagogik derweil begonnen. Seit neun Uhr morgens debattieren sie einen Forderungskatalog für den Fachbereich. Dabei ist unbestritten, daß ihre Forderungen „selbstverständlich“über studentische Belange hinausgehen. Sie fordern das Ende der Diskriminierung von Behinderten in der Gesellschaft. „Auf keinen Fall dürfen wir nur mehr Geld fordern und auf den unpolitischen Zug aufspringen“, warnt der Student Walter Haar. Keine vier Stunden später steht der bunte Trupp – als erster Uni-Studiengang – in der Sögestraße. Mit einer „Bodenplakat-Aktion“soll das Gespräch mit der Bremer Bevölkerung angeschoben werden. Dazu dienen jede Menge provokative Fragen wie „Wollen Sie eine Elite-Universität?“oder „Wollen Sie gleiche Bildungs-Chancen?“. „Wenn wir mit den Leuten ins Gespräch kommen, können sie uns besser verstehen“, sagt die Pädagogik-Studentin Elsbeth. Sie glaubt, daß viel zu wenige BremerInnen wissen, wie mies es an den Universitäten wirklich aussieht – ohne die Unterstützung und den Druck der Bevölkerung räumt sie den Streiks aber wenig Erfolg ein.

In den kommenden Tagen planen die Studierenden vieler Fächer deshalb zahlreiche Veranstaltungen in der Öffentlichkeit: Lehrbeauftragte des Studiengangs Behintertenpädagogik werden ihre Vorlesungen unter die Rathausarkaden verlegen. Im Bus der Linie 23 wurde schon gestern nachmittag der Vortrag „Entfremdung im Alltag“gegeben. Weitere sollen folgen.

Wie vielfältig und kreativ die StudentInnen in ihren Aktionen sind, überrascht selbst die uni-interne Arbeitsgruppe „Medien und Öffentlichkeitsarbeit“. Sie gibt die neue, tägliche Streikzeitung heraus. Für die erste Ausgabe des spontanen Zentralorgans der streikenden StudentInnenschaft schlugen sich Teile der zehnköpfigen Redaktion die Nacht um die Ohren. Erst um sechs Uhr morgens gingen die vier Seiten an die Uni-Druckerei. Daß nicht jeder Termin drin vorkommt, ist klar: „Durch die dezentrale Organisation des Streikes, da jeder Studiengang also selbst seine Aktionen plant, haben wir selbst nicht den vollen Überblick“, erklärt Romanistikstudentin Cordula Voigts. Der Streik lebt auch von Gerüchten.

Wie schnell sich Berichte von erfolgreichen Aktionen dabei verselbständigen, zeigt das Beispiel „Grazer Staße“. „Dort sollen angeblich die Studenten des Studiengangs Psychologie die Straße blockieren und Barrikaden mit Stacheldraht errichtet haben“, sagt der Politikstudent Marc Kleine. Ein Besuch vor Ort jedoch zeigt die Friedfertigkeit der Aktion: In der kleinen Schwachhauser Nebenstraße steht ein Grüppchen von rund 15 StudentInnen. Über der Straße spannt sich ein großes Transparent: „Streik“. Seit 7.30 Uhr halten die StudentInnen durch, die Kälte steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Mit AutofahrerInnen versuchen sie ins Gespräch zu kommen, reichen Flugblätter und einen Apfel durchs Fenster. „Die Mehrzahl ist freundlich und versteht uns“, berichten die Frierenden. „Der Apfel gilt als Symbol – der Versuchung zu widerstehen, eine Vorlesung zu besuchen“, erläutert Frank Schulze. „Und außerdem soll er uns ganz praktisch Kraft für den Streik geben“, ergänzt Christoph Engels, Sozialpädagoge. C. Erlewein