: Arbeitsverbot für die Behördenchefs
Flughafenschließung: Die „Nichtbeteiligung“ von Senator Klemann und Staatssekretär Schmitt am Verfahren soll das Prozeßrisiko vermindern. Doch ob diese Konstruktion in einem Prozeß standhält, ist fragwürdig ■ Von Bernhard Pötter
Wenn die Leiterin der Abteilung Luftfahrt der Verkehrsverwaltung, Regine Rausch-Gast, auf Nummer Sicher gehen will, dann erteilt sie ihren Chefs, Verkehrssenator Jürgen Klemann und Staatssekretär Ingo Schmitt (beide CDU), für die nächsten Monate Hausverbot. Denn sobald sich die Chefs der Verkehrsverwaltung in den Sitzungen zur Schließung des Flughafens Tempelhof blicken lassen, wächst das Prozeßrisiko: Sollten Klemann oder Schmitt zu einer „entscheidungsrelevanten Tätigkeit“ ansetzen, wäre das gesamte Verfahren und der in langen Jahren ausgehandelte Kompromiß um die Zukunft der Berliner Flughäfen in Gefahr.
Grund dafür ist das Verwaltungsverfahrensrecht, das die Doppelfunktion von Politikern und Beamten beschränkt, die gleichzeitig als Aufsichtsratsmitglieder von Privatfirmen agieren. Der Paragraph 20, Abs. 1 lautet: „In einem Verwaltungsverfahren darf nicht tätig werden, wer bei einem Beteiligten (...) als Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates tätig ist.“ Klemann ist Aufsichtsrat der BBF, Schmitt stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der BFG. Sie dürfen also nicht „im Verfahren tätig werden“. Doch was heißt das?
Klemann und Schmitt würden „an keinen Entscheidungen im Verfahren beteiligt“, sagt die Verkehrsverwaltung. An den entscheidenden Abstimmungen nähmen sie nicht teil, so die Sprecherin Petra Reetz. Das Land Berlin wolle in den Flughafengesellschaften „mit der geballten Fachkompetenz“ vertreten sein und sehe darin „kein Prozeßrisiko“.
Ganz so einfach liegt die Sache allerdings nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat 1984 in einem fast identischen Fall (siehe Kasten) entschieden, daß „Ausschluß- und Befangenheitsregelungen grundsätzlich nicht nur Bedeutung haben, wenn ein Interessenkonflikt vorliegt, sondern sie zielen gerade darauf ab, daß schon der ,böse Schein‘ möglicher Parteilichkeit vermieden wird“. Zu deutsch: Auch wenn Senator Klemann und Staatssekretär Schmitt ihre Untergebenen nicht beeinflussen, kann das von außen so aussehen. Und gerade das soll mit der Vorschrift verhindert werden.
Eben deshalb hat Brandenburg nicht seinen Verkehrsminister Meyer in den BBF-Aufsichtsrat geschickt. Man habe „juristische Bedenken“ wegen des Anscheins einer möglichen Befangenheit des Ministers im Verwaltungsverfahren, heißt es aus Potsdam.
Die obersten deutschen Verwaltungsrichter haben auch dargelegt, wie intensiv der Kontakt des Chefs mit den zuständigen Beamten sein darf: „Untersagt sind Äußerungen, die zur Meinungsbildung der zuständigen Behörde über das Verfahren oder über die Sachentscheidung beitragen sollen, insbesondere Weisungen oder weisungsähnliche Handlungen.“ Nicht verboten sind dagegen „bloße Kontaktaufnahmen, Informationen und Kenntnisnahmen“, sofern sie nicht in „entscheidungsbezogene Aktivitäten“ münden. Wie schnell das aber der Fall ist, bleibt Sache der Richter. In einem Prozeß muß also die Verkehrsverwaltung nachweisen, daß Klemann und Schmitt trotz des „bösen Scheins“ die Entscheidung ihrer Behörde nicht beeinflußt haben.
In einem zweiten Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht 1986 das Risiko einer solchen Konstellation klargestellt: Greift ein Chef in das Verfahren ein, ist der Verwaltungsakt (in diesem Fall die Schließung Tempelhofs) rechtswidrig. Zwar sei „Beratung und Information“ des Antragstellers durch die Behörde nicht ausgeschlossen, doch werde die „gebotene Unparteilichkeit mißachtet, wenn der Antragsteller ,mit am Entscheidungstisch sitzt‘“.
Fraglich ist unter den juristischen Experten außerdem, wann das „Verfahren“ im Sinne des Gesetzes beginnt: erst mit dem Antrag der BFG auf Schließung, der dieser Tage bei der Luftfahrtbehörde eintrudeln dürfte – oder möglicherweise bereits vorher, als Senator und Staatssekretär vorbereitende Entscheidungen der Behörde mitgetragen haben. Auch ist unklar, wie öffentlich Klemann und Schmitt ihr Fernbleiben von den Entscheidungen machen müssen: Reicht eine formlose Erklärung, reicht das Nichtbeteiligen an Diskussionen auf Abteilungsleitersitzungen, oder müssen die Behördenchefs den Sitzungen ihrer Untergebenen ganz fernbleiben? Wer schließlich hat das letzte Wort bei Entscheidungen über die Schließung des Flughafens – und wer trägt die politische Verantwortung?
Der Ausweg aus dem Dilemma, so die Fachliteratur, wäre die Aufgabe der Aufsichtsratsposten durch Klemann bei der BBF und durch Schmitt bei der BFG. Grundsätzlich wäre es aber auch denkbar, daß eine andere Behörde als die Verkehrsverwaltung die Bearbeitung des Schließungsantrags übernimmt.
Die Position der beiden Politiker in den Aufsichtsräten könnte zu einem entscheidenden Faktor in einem mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden Prozeß gegen die Schließungsanordnung werden. Denn das Gericht könnte entweder die Schließung als rechtswidrig erklären oder aber das Verfahren aussetzen und die Verwaltung zur Klärung der Angelegenheit auffordern. Das aber würde eine Verzögerung bedeuten, die den Zeitplan der Flughafenschließungen, die mit dem Bund und Brandenburg 1996 als Teil des „Konsensbeschlusses“ zum Flughafen Schönefeld vereinbart worden sind, gründlich durcheinanderbringt.
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