: Erdbeere unter Schutz
Französische Regierung ist mitverantwortlich für Ausschreitungen randalierender Bauern gegen die Agrarimporte ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – Frankreich muß künftig härter gegen protestierende Bauern vorgehen. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das Verfahren war durch eine Klage der EU-Kommission gegen Frankreich ausgelöst worden. Zuvor hatte die Kommission Jahr für Jahr erfolglos die Pariser Regierung gebeten, ausländische Agrareinfuhren besser vor dem Zorn der französischen Landwirte zu schützen.
Seit mehr als zehn Jahren kommt es jeden Sommer in Frankreich zu Ausschreitungen wütender Bauern gegen Obst-, Gemüse- und Fleischeinfuhren aus anderen EU-Staaten. Lastwagen werden angehalten, ihre Ladung vernichtet, Fahrer angegriffen sowie Groß- und Einzelhändler bedroht. Vor allem bei spanischen Erdbeeren sahen die Bauern rot. Stets entgegnete die Regierung, sie sei durchaus bereit, den freien Warenverkehr zu sichern. Doch ihre Polizei blieb untätig oder hielt sich dezent zurück. Vor vier Jahren verklagte die EU-Kommission deshalb Frankreich beim EuGH. Nach Ansicht der Brüsseler Behörde hatten die Ausschreitungen 1993 endgültig den Charakter spontaner Aktionen verloren. Vielmehr hätten Gruppen wie die „Coordination Rurale“ einen „ausgefeilten Plan“ verfolgt, um nur noch ihnen genehme Agrarprodukte ins Land zu lassen. Obwohl die Rädelsführer den Behörden bekannt waren, wurde nur einer 1993 strafrechtlich verfolgt.
Jetzt hat die Pariser Regierung die Quittung erhalten. Der Europäische Gerichtshof stellte ausdrücklich fest, daß die französischen Maßnahmen mangelhaft waren (Az.: C-265/95). Es half den Franzosen auch nichts, daß die betroffenen Agrarimporteure eine Entschädigung erhielten. Die jährlich wiederkehrenden Ausschreitungen hätten, so der Gerichtshof, eine „Atmosphäre der Unsicherheit“ geschaffen, die sich nachteilig auf „die gesamten Handelsströme“ auswirke.
Diesmal kam die französische Regierung noch mit einem Rüffel davon. Bleibt ihre Haltung jedoch so lax wie bisher, kann die Kommission ein neues Verfahren einleiten. Und bei einer erneuten Verurteilung durch den EuGH können laut EU-Vertrag auch massive Zwangsgelder gegen Paris verhängt werden.
Als Reaktion auf die massiven französischen Fernfahrerblockaden in diesem Jahr hat inzwischen auch die Politik reagiert. Auf Bitten der europäischen Regierungschefs präsentierte die EU-Kommission vor drei Wochen einen Vorschlag, der den Druck auf allzu zimperliche Mitgliedsstaaten erhöhen soll. Danach könnte schon die Kommission und nicht erst der EuGH verbindlich feststellen, daß ein Staat gegen die EU-Verträge verstoßen hat. Firmen, die wegen Lieferschwierigkeiten Verluste erleiden, könnten dann einfacher Schadensersatz einklagen. Diesen Vorschlag muß der EU-Ministerrat noch beschließen.
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