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Rückkehr aus dem Nirwana

Von den Schwierigkeiten der Grünen, Petra Kelly, ihre einstige Symbolfigur, anläßlich ihres 50. Geburtstages wiederzuentdecken  ■ Von Martin Woldt

Die lebende Petra Kelly war stets gut für Überraschungen – die tote ist es auch.“ Mit einer Mischung aus Mysterium, Trotz und Zuversicht sagt Roland Vogt diesen Satz – aber nicht etwa in einer Gedenkhalle, sondern in einem tristen Raum des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums in Potsdam. Vogt arbeitet hier seit einigen Jahren. Er glaubt an ein politisches Comeback seiner einstigen Weggefährtin. Für ihn verkörpert sie das „Gründungsgewissen“ der Grünen schlechthin.

Obwohl es damals, als sie sich Mitte der siebziger Jahre kennenlernten, ganz und gar nicht um eine neue Partei ging. Es ging ihnen um eine „Neukomposition von Politik“. Und Petra Kelly war das „Assoziationsgenie“, das die neuen Fragen zu erspüren vermochte. Das ist es, was sie verband und verbindet. Deswegen nannten sich die Grünen einst grün. Eine schöne, eine wilde, eine ehrliche Zeit. Sie ist dahin.

Eher zufällig, wegen Petra Kellys 50. Geburtstag am 29. November, war wieder die Rede von einst. Warum trat man an? Was war die Vision? Und auch am heutigen Mittwoch dürften sie wieder beschworen werden, die bewegten siebziger und achtziger Jahre, als Ökologie und Menschenrechte, als Frieden und Dritte Welt noch mehr als eine institutionalisierte Lobby hatten. Die Heinrich-Böll- Stiftung wird heute abend ihre Absicht mitteilen, künftig alle zwei Jahre einen Internationalen Petra- Kelly-Preis für Menschenrechte, Ökologie und gewaltfreie Politik vergeben zu wollen. Es ist der erste ernsthafte Schritt der Grünen, ihren einstigen Leitstern aus dem Nirwana zurückzuholen.

Es ist kein Erinnern aus Bedürfnis. Es ist ein Erinnern aus Anlaß. Das darf nicht verwundern. Noch immer verstellen die Todesumstände Petra Kellys den Blick auf das, was sie eigentlich war: eine mehr als ungewöhnliche Frau. Ihr mysteriöser Tod durch eine gewöhnliche Kugel hat keine Märtyrerin geschaffen und keine Princess of the heart. Er hat keine Impulse hinterlassen, nur anhaltende Ratlosigkeit. Die scheinbar einzig verbliebene Frage lautet: Warum?

Warum hat ihr Lebensgefährte, der Exgeneral Gert Bastian, erst ihr und dann sich eine Kugel in den Kopf gejagt? War er ihrem Aktionismus nicht mehr gewachsen? Wollte er ihr seine Stasi-Zuträgerschaft verheimlichen? Kam er der sich abzeichnenden Trennung wegen einer angebotenen Professur in den USA zuvor? Warum hat er ohne eine Zeile Schluß gemacht? Kelly war voller Pläne. Die Tatsache, daß es auch im sechsten Todesjahr keine schlüssigen Antworten geben wird, nährt das schleichende Vergessen.

„Welche Lücke Petra Kelly hinterließ?“ Gerd Poppe zieht an seiner Zigarette, als wollte er fünf Minuten unter Wasser bleiben. Der grüne Bundestagsabgeordnete folgte Petra Kelly 1990 in Bonn auf deren Stuhl im Auswärtigen Ausschuß. Bestimmte Themen, wie die Menschenrechte in Tibet, denen er sich verpflichtet fühlt, verdankt Poppe Petra Kelly. Die DDR war noch nicht hinüber, da inspirierte sie schon die Oppositionellen dazu, den Dalai Lama einzuladen. „Den ersten offiziellen außenpolitischen Akt der DDR-Opposition“ nennt Poppe die Aktion heute.

„Ob ich sie vermisse...?“ Die inhalierte Rauchwolke durchstößt den gesamten Raum. „...da gibt's ganz viel. Ich muß was auswählen.“ Und dann beschreibt er den ungewöhnlichen Stil, wie sie ihre Forderungen in die Öffentlichkeit trug. Ohne unhöflich oder verletzend zu werden. „Alle, einschließlich der eigenen Person, halten bestimmte Formen ein. Man schreibt Anträge, man diskutiert in Ausschüssen, man geht Kompromisse ein, um vielleicht noch etwas durchzusetzen. Ihre Art war sehr viel direkter und kompromißloser. Es fehlen diese Leute, die als eine gebündelte Form von Energie erscheinen, nach einem Fehlschlag am nächsten Tag aufstehen und weitermachen.“

Nach Ansicht von Poppe ist Petra Kelly, nachdem die Grünen 1990 nicht wieder in den Bundestag kamen, flügelübergreifend sehr gern vergessen worden. Der Umstand, daß sie jenseits aller Parteitaktik rücksichtslos mit ihren Themen nervte. Daß sie sich egomanisch der Rotation verweigert hatte. Daß sie in ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete 32 persönliche Mitarbeiter verheizte. Daß sie kalt wie Eis sein konnte, wenn jemand neben ihr „über ihr“ stand – all das hat vielen, die an ihr litten und ihren sinkenden Stern beobachteten, ein gutes Gewissen gemacht. Bei manchen hält es bis heute. Mit einer kurzen Unterbrechung: der Trauerfeier 1992.

„Vergessen?“ Lukas Beckmann sollte man diese Frage nicht stellen. Er wird sie immer falsch verstehen. Denn er wird sie immer verneinen. Weil er Petra Kelly nie vergessen hat. Er war seit Ende der siebziger Jahre, seit ihrer Freundschaft und ihrer Liebe, immer in der Nähe. Kein Zufall, daß er als letzter vor ihrem Tod mit ihr telefonierte. Kein Wunder, daß er das Erinnern zum 50. Geburtstag anführt.

Und was soll Fraktionsgeschäftsführer Beckmann antworten, wenn es um das Vergessen der Partei geht? Er wiegelt ab: Die Diskussion in Vorbereitung auf die Veranstaltung heute abend habe gezeigt, daß Petra Kelly außerordentlich wichtig für die eigene Geschichts- und Traditionsbildung sei. Wer soll das glauben!

Wer's glaubt, dürfte beim Streit der letzten Monate über das schier unüberbrückbare Spannungsverhältnis von Realpolitik und Visionen wohl im falschen Film gewesen sein. Wäre es so, wie sich Lukas Beckmann die Kelly-Akzeptanz seiner Partei erträumt, Trittin und Fischer hätten wechselseitig die „heilige Petra“ beschworen. „Denn sie hatte“, so Gerd Poppe, „die Fähigkeit, ihre Visionen und die praktische Politik nicht zum Widerspruch werden lassen.“ Im Gegensatz zu seinen Frontmännern vermißt Poppe sie wirklich.

Zwischen der Partei und ihrer einstigen Symbolfigur liegen Lichtjahre. In Wahrheit kommt der 50. Geburtstag zehn Jahre zu früh. Wenn Petra Kelly wirklich die Gründungssubstanz der Grünen verkörpert, dann ist genau das der Ballast der Partei auf ihrem Weg zur Macht.

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