: Der poetische Überschuß
Wahlweise aufblasbar, bedruckt oder farbig: Der Gebrauchsgegenstand, der DDR-Alltag und die Prosa der Produzenten – zu einem Diavortrag des Schriftstellers Jan Faktor im Literarischen Colloquium Berlin ■ Von Jörg Magenau
Ein Dichter muß einen Vollplastewasserhahn in seiner zerbrechlichen Bescheidenheit lieben können. Sonst ist er keiner. Er muß wissen, wie der „Halbzoll-Druckspüler 36939 für Urinal TGL 21726“ funktionierte, und muß ebenso das Nachfolgemodell 36937 in seiner „modernen und hygienischen Formgebung“ erkannt haben. Am „Naßmacher“, wie der störanfällige Druckspüler mit dem blauen Knopf wegen seiner Eigenschaft, eher die Finger als das Urinal zu benetzen, genannt wurde, läßt sich jedenfalls das fürs Schreiben erforderliche Einfühlungsvermögen erproben. Ebenso die langjährige Geduld und handwerkliche Hingabe, die den Dichter erst zum Dichter machen.
Schreiben, das ist klar, fängt bei Wahrnehmung an und also bei den Dingen. Jan Faktor, in der ČSSR geborener Bewohner von Prenzlauer Berg, gelernter Programmierer und erprobter Schlossergehilfe, hat diese Schulung erfolgreich durchlaufen. Sein Diavortrag über die „Prosa der Dinge“ beschäftigte sich allerdings hauptsächlich mit der Prosa der Produzenten: Beipackzetteln, Packungsaufdrucken, Gebrauchsanleitungen. Seine archäologische Erkundung des DDR-Alltags, zugleich eine verdinglichte Autobiographie, kam „vom Text auf die Gegenstände“. Doch man muß kein Dichter sein, um Sätze wie „Der Nasconda bleibt beim Gebrauch im Taschenbeutel“ in ihrem poetischen Überschuß würdigen zu können. Sehr schön auch die Alternativen „aufblasbar, bedruckt oder farbig“, in denen die Babywickelliege für Haushalt und Camping lieferbar war. Erwerber der Heißluftdusche LD7 wurden gewarnt: „Die speziellen Zubehörteile der LD7 sind für die LD8 nicht zugelassen!“ Drohender noch klang es in der Gebrauchsanweisung des Refra- Haarlacksprühers in den Ausführungen Perfect oder Special: „Versuchen Sie nicht mit Nadeln die Röhrchen zu säubern. ES WÄRE DAS ENDE DES SPRÜHERS!“ Die Besitzer eines Blitzboy-Gemüseschneiders wurden dagegen recht freundlich gebeten: „Bitte werfen Sie es nicht!“
Jan Faktor betonte, daß er sich keinesfalls lustig machen wolle, sondern von Sammelleidenschaft und Forschungseifer zu großem Ernst genötigt werde. Schließlich hat er auch selbst schon Gebrauchsanweisungen zum Schreiben und Setzen von Texten verfaßt, kennt also die damit verbundenen Probleme: Entweder man macht es zu genau, dann steigen die Leser aus, oder aber es bleiben zu viele Fragen offen, was auch nicht gut ist. In seiner Zeit als Programmierer (damals stand in seinem DDR-Paß tatsächlich die Berufsbezeichnung „Systemanalytiker“, worauf er sehr stolz war) schrieb Faktor endlos lange Texte auf endlosen Papieren in Programmierer-Geheimsprache, inklusive Gebrauchsanweisung: eine stilistische Präzision, die auch der Dichtung zugute kam.
Eine besondere, unergründliche Wissenschaft sind die DDR- Produkt-Namen. Daß ein Lebensmittelzerkleinerer LZ2000 heißt, ein Tischgrill TG14, eine Haartrockenhaube HT1 ist buchstabentechnisch leicht zu entschlüsseln. Doch was bedeuten die Zahlen? Für alle Fälle wurde auf sämtlichen DDR-Produkten präzise gewarnt: „Änderungen des technischen Fortschritts bleiben vorbehalten.“ Und so ist es dann ja auch gekommen.
Als besondere Kostbarkeit präsentierte Faktor von der Gauck- Behörde zur Verfügung gestellte handschriftliche Dienstanweisungen Erich Mielkes. Detailfreudig skizziert Mielke da, wie er den Frühstückstisch bereitet haben möchte, in welcher Ecke das Viereinhalbminutenei stehen sollte und wo die Papierserviette (weiß). Dazu notierte der Stasichef vorsichtig: „Montags eventuell lüften“.
Im Zentrum der Faktorschen Autobiographie der Dinge steht jedoch das Hochdruckreinigungsgerät R208, mit dem er in der Schlosserei Jamrath zu tun hatte. Das Gerät – sinnbildlich für die DDR – bestand aus einem Motorblock und aus einer Druckkammer, zwei Teile aus verschiedenen Betrieben, die nur notdürftig mit drei mickrigen Schrauben verbunden waren, weil niemand fürs Ganze zuständig war. Deshalb drang ständig Öl in Regionen, wo es nichts zu suchen hatte, und Faktor mußte wieder saubermachen.
Dann doch lieber Dichter. Der lichtbildgestützte Vortragsabend im LCB hatte jedenfalls viel mit Literatur zu tun, auch wenn die Texte 1:1, ohne dichterische Zutaten, gereicht wurden. Viele Fragen mußten offenbleiben. Was z.B. bedeutet der einst auf Quittungen gebräuchliche Stempelaufdruck „doppelt für einfach“? 40 Jahre Systemanalyse bewirken nichts vor Geheimnissen wie diesem.
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