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Heiteres Herz, melancholischer Geist

■ Kertész erzählt über seine Lager-Studie „Roman eines Schicksallosen“, den ersten Kuß & das Glück des perfekten Satzes

Auf die Frage, warum sie ihren Holocaustbericht erst in fortgeschrittenem Alter schreiben konnte, antwortete Ruth Klüger: „Es existieren so viele Vorurteile über das Leiden. Zum Beispiel, daß Elend die Familien zusammenschweißt. Ich aber wollte schreiben über die Pubertätskonflikte zwischen mir und meiner Mutter – im Lager. Das muß man sich erst einmal trauen.“Imre Kertész faßte schon 1975 den Mut zu einer Darstellung jenseits von Gut und Böse. Seine erschreckend unsentimentale Lagerprosa „Roman eines Schicksallosen“wurde aber erst letztes Jahr in stimmiges Deutsch übersetzt. Jetzt las er in der Stadtwaage die Geschichte vom Ausbleiben der erwartbaren Gefühle: Der 15jährige Held, den Naziinszenierungen teilverfallen, bewundert seine Peiniger eher (die „gewinnend männlichen Züge“) als sie zu verachten. Schläge erträgt er, der versehentliche Stupser des Mitgefangenen läßt ihn aufbrausen. Die mögliche Flucht verhindert „der Anstand in mir“. Kertesz: Er vertraut auf seinen Paß, mehr noch, vertraut der Welt. Ein strahlender Junge, der glaubt, ihm kann nichts Böses widerfahren. Ganz stark und unzerbrechlich aus Dummheit. Und voller Zuversicht. So kann er auf eine Welt des Unrechts nicht angemessen – mit Abscheu – reagieren. In absurder Weise operiert er mit seinem antrainierten Instrumentarium von Werten. Anstand, Ordnung, der Ehrgeiz zu gefallen. Haß auf die Täter, Mitleid mit den Opfern kennt er kaum. Nach der Banalität des Bösen jetzt also die Banalität des Schmerzes. Die Umkehrung der Gefühle setzt aber schon vor dem Lager ein. Nicht nur ein Roman über den Holocaust, sondern über die Mechanismen der Existenz schlechthin. Die Trennung vom Vater treibt dem Helden keine Tränen in die Augen. Erst das Wissen, daß Tränen von den rundumstehenden Angehörigen erwartet werden, läßt sie sprießen. Auch der erste Kuß geschieht verdächtig unbeteiligt. Wie autobiographisch ist der Roman? Bei meinem ersten Kuß war die Situation eine andere, die Empfindung aber meinem Helden durchaus verwandt. Ein Zurechtrücken von kitschig-simplifizierenden Mißverständnissen über das Empfinden als Opfer - und als Mensch. Keine Tagebuchauthentizität.

„Strukturell orientiert sich mein Roman an den Konventionen der Holocaustliteratur. Ganz streng – geradezu wie in einem Passionsspiel – durchwandert der Held die gängigen Stationen: Zuhause, Ghettoisierung, Zugfahrt, Ankunft im Lager etc. Innerhalb dieser Rahmenkomposition aber wehrt sich der Text gegen die üblichen Verharmlosungen. Harmlos, leer und unmenschlich ist eine Holocaustdarstellung dann, wenn sie das Gefühl vermittelt: Das geht uns nichts an, ist eine streng abgezirkelte Inselwelt, die nichts zu tun hat mit unserem Alltag. Aber Holocaust ist Alltag, komprimiertes Alltagsdestillat, in extremer Ausprägung. Der Holocaust hat unser Bild vom Menschen über den Haufen geworfen. Schindlers Liste aber entläßt den Zuschauer als Sieger. Eine ferne Welt, überstanden. Und je mehr Grausamkeiten dargestellt werden, desto harmloser ist das Dokument. So verzichtet Kertész auf Folterorgien und verzeichnet lieber minutiös den Inneren Monolog des Helden bei der Auswahl der Zwangsarbeiter. Eben keine Tagebuchauthenti-zität.

Ich wollte den Holocaust objektiv aufzeichnen, wollte verstehen statt nur zu klagen: die armen Opfer, die bösen Täter. Naturalistisch aber ist der Text nicht. Vielmehr handelt es sich um eine in sich geschlossene konsistente Kunstwelt. Die allerdings hängt der uns umgebenden Realität so dicht auf den Fersen wie die Kunstwelten eines Kafka, Thomas Bernhard oder Beckett.

Warum stilisieren? Die Realität ist immer vielschichtig. Ich aber suche das Prinzip. Mein Text konstruiert einen reinen Fall, ohne Bruch: In jeder Szene sehen wir einen Menschen, der überleben will. Deshalb akzeptiert er alles – rationalisiert es, zeigt also, daß es alles leichter macht, wenn man die Logik eines Systems annimmt. So wie Kafkas Held die Logik des Schlosses annimmt.

Ein pessimistisches Menschenbild. Macht es das Leben unerträglich? Thomas Bernhard schmunzelte gerne. Und Kafka war nicht nur ein erfolgreicher Anwalt. Seine Kollegen bei der Versicherung beschrieben ihn als angenehmen Menschen. Max Brod nannte ihn einen Mann mit melancholischem Herzen und heiterem Geist. Dann sind Sie die Umkehrung, ein Mann mit heiterem Herzen und melancholischem Verstand? Vielleicht.

So viele Überlebende, Primo Levi, Jean Amery, haben im Alter doch noch gepaßt und Selbstmord begangen. Sie scheinen keine ähnlich gearteten Pläne zu schmieden. Provozierend gesagt: Manche nehmen den Holocaust zu ernst – vielleicht nicht den Holocaust, aber die Schwächen, die sie nicht zuletzt an sich selbst erlebten. Ich habe das Glück, Schriftsteller zu sein, objektiviere so meine Erfahrungen.

Gab es also die seelische Notwendigkeit zu einer literarischen Bewältigung? Nein. Keine psychische Not, eher einen Erkenntnisbedarf. Schreiben ist keine Abwehrarbeit, Schreiben bedeutet Freude. Und je schwieriger der Gegenstand, desto größer das Glück über einen gelungenen Satz. Die Zeit der Niederschrift des Schicksallosen war meine glücklichste Lebensperiode. Und welche Spuren hat der Holocaust in Kertész hinterlassen? Als Schriftsteller hat mich der Holocaust thematisch gerettet. (Lacht) Negative Erfahrungen sind wichtig – sehr inspirierend. Vielleicht das letzte schöpferische Moment, das dieser Welt bleibt. Früher war Bewunderung die Basis der Kunst. Denken Sie an Goethe. Der Künstler aber, der heute noch bewundert, der lügt.“B. Kern

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