: Familienbande agierte aus der Schweiz
■ Steuern sparen, hohe Renditen kassieren: Für 22.500 AnlegerInnen wurde dies zum Millionengrab im größten Fall von Anlagebetrug
Hamburg (taz) – Die Geschädigten waren aus ganz Deutschland gekommen. Rund 1.000 AnlegerInnen, die ihr Erspartes in stille Beteiligungen der Hanseatischen AG (HAG) investiert hatten, versuchten bis spät in die Nacht zum Donnerstag auf einer Gläubigerversammlung im Hamburger Congress Centrum zu retten, was wohl nicht mehr zu retten ist. Seit Juli dieses Jahres steckt die HAG im Konkursverfahren. Und die 409 Millionen Mark, die das Unternehmen seit 1989 von rund 22.500 Kleinanlegern einsammelte, sind in dunklen Kanälen versickert. „Die HAG wurde hemmungslos ausgeplündert“, weiß der Hamburger Wirtschaftsjurist Gerd Weiland, der zum Konkursverwalter bestellt wurde.
Mit der HAG-Pleite endet der wohl größte deutsche Anlagebetrug im einträglichen Geschäft mit dem ökologischen Gewissen. Mit den Einlagen der KleinanlegerInnen sollten Heiz- oder Windkraftwerke vor allem in Ostdeutschland gebaut werden. Die Umwelt schützen, mit hohen Verlustzuweisungen den Fiskus umschiffen und garantierte Renditen von acht Prozent kassieren – dieser Kombination aus Moral und Moneten konnten gerade viele Bürger aus dem Osten der Republik nicht widerstehen. Zu spät merkten sie, daß sie in ein auf Betrug ausgerichtetes Firmenkonsortium investiert hatten, an deren Spitze der im schweizerischen Davos beheimatete und wegen Anlagebetrugs vorbestrafte Kaufmann Günther Wagner steht.
Mit Hilfe seiner zahlreichen Verwandten baute Wagner um die HAG ein undurchdringliches Firmengeflecht aus 67 Einzelunternehmen auf, in dem die Millionen hin und her verschoben wurden. Ein Beispiel: Während von den eingesammelten 409 Millionen Mark nur rund 90 Millionen in ostdeutsche Kraftwerke investiert wurden, kassierte die zum Wagner-Konsortium gehörende Anlagenberatungsgesellschaft (ABG) von der HAG 78 Millionen Mark Provision dafür, daß sie AnlegerInnen einwarb. Laut einer saarländischen Wirtschaftsdetektei verschwanden zudem Millionenbeträge auf Wagners Privatkonten in der Schweiz und in Luxemburg.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt mitlerweile gegen Günter Wagner und zwei seiner Töchter wegen Anlagebetrugs, Steuerhinterziehung und betrügerischem Bankrott. Doch die Aktivitäten der Ermittler kommen nach Auffassung von Konkursverwalter Weiland zu spät. Bereits 1992 lagen der Hamburger Anklagebehörde Hinweise auf die kriminellen Aktivitäten der Wagnerischen Familenbande vor. „Die Staatsanwaltschaft hatte offenbar keine Lust zu ermitteln“, klagt Weiland, der auf der Versammlung anregte, die Ermittlungsbehörde im Wege der Staatshaftung in die Schadenersatzpflicht zu nehmen. „Auch wenn die Chancen gering sind, werde ich jeden unterstützen, der einen Musterprozeß führt“, versprach Weiland.
Weil die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig Alarm schlug und auch das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen zu spät die Notbremse zog, konnte die HAG noch bis Ende 1996 Millionen einsammeln. Ob die AnlegerInnen wenigstens einen Bruchteil ihres Geldes wiedersehen, steht frühestens Ende 1998 fest. Erst dann wird Weiland wissen, wieviel Geld durch den Verkauf der HAG-Kraftwerksbeteiligungen noch in die Konkursmasse fließt. Marco Carini
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